Unendlich viel Hoffnung – nur nicht für Fritz Honka – Heinz Strunks Der goldene Handschuh (2016)
16. März 2017 - 2017 / Allgemein / texttext
Die machen sich ihre Erinnerung selbst, denken so lange etwas Schönes herbei, bis das wahr und Teil von ihnen und folglich ihrer Erinnerung wird.1)Strunk, Heinz: Der goldene Handschuh. Hamburg 2016, S. 85; Im Folgenden zitiert als: DGH
Vor gut einem Jahr bescherte uns Heinz Strunk den schockierenden und gleichzeitig fantastischen Roman Der goldene Handschuh, der von dem Hamburger Serienmörder Fritz Honka handelt. Auf rund 250 Seiten erzählt Strunk von Verwahrlosung, Alkoholexzessen und sexueller Abartigkeit, die letztendlich zu den schrecklichen Verbrechen führten: Fritz Honka ermordete im Zeitraum von 1970-1975 vier Frauen. Er brachte sie auf grausame Weise um und versteckte ihre Leichen teilweise in der Abseite seiner Wohnung. Nachdem die vorangegangenen Artikel den Roman bereits unter sexualpathologischen Gesichtspunkten betrachtet und als (Vor-)Hölle auf Erden entlarvt haben, soll zum Abschluss der Reihe Strunks Umgang mit den Motiven Glück und Hoffnung in den Blick genommen werden.
Es kommt etwas hinzu zu der objektiven Widersprüchlichkeit der Wirklichkeit, die eben nichts Glattes, nichts Klares ist, sondern eine Geisterwelt darstellt. Es kommt etwas hinzu, nämlich, dass in uns, als Subjekten, als Menschen, ein Antirealismus des Gefühls besteht. In der Evolution sind nur diejenigen Menschen übrig geblieben, die dies vermögen: Sie sind fähig, eine Wirklichkeit, die es nicht gut mit ihnen meint, zu leugnen. Das tun sie nicht nur im Großen, indem sie Aufstand machen, revoltieren, sondern unmerklich, indem sie alles was sie in der Wirklichkeit wahrnehmen ein kleines bisschen illusionistisch abfälschen.2)Alexander Kluge: Theorie der Erzählung – Frankfurter Poetikvorlesungen 2012. DVD 1, TC 00:30:00; im Folgenden zitiert als: Kluge
Und jetzt die nächste Oma. Als er [Fritz Honka] sie von sich wegdrückt, grunzt sie. Er hat den Kater von eineinhalb Flaschen Korn und jede Menge Bier, und in seinem Sack gärt es. Er guckt an die Decke zu den Pin-up-Girls und stellt sich was vor. Dann schiebt er den Kittel hoch. Ihm ist gerade alles egal, wenn er nur nicht in das Gesicht mit dem Gebiss gucken muss. Er ist gut darin, sich was Schönes vorzustellen. Mit schwacher Vorstellungsgabe hält man das alles nämlich nicht aus, da muss man sterben. Auf dem Totenschein steht dann Herzinfarkt oder sonst was, in Wahrheit ist es aber mangelndes Vorstellungsvermögen.3)DGH 41.
In Alexander Kluges Wirklichkeitsverständnis begreift er den Menschen als starkes Wesen, das bereits vor etlichen tausend Jahren bewiesen hat, wie widerstands- und anpassungsfähig es gegenüber der objektiven Härte seiner Lebensverhältnisse sein kann. 4)Kluge TC 00:28:35 Den entscheidenden Faktor für das menschliche Überleben nennt Alexander Kluge „Antirealismus des Gefühls“ – eine Verfremdung der Wirklichkeit. Für Fiete, wie Fritz Honka im Goldenen Handschuh genannt wird, ist das schlicht ‚Vorstellungsvermögen‘.
Grundlose Hoffnung
Wie die meisten Protagonisten in Heinz Strunks Romanen befindet sich Fiete in einer Lebenssituation, in der die Hoffnung auf Verbesserung scheinbar vergebens ist. Bereits zu Beginn des Buchs ist er stark alkoholabhängig, besitzt keine beruflichen Perspektiven oder kaum etwas, was freundschaftlichen Kontakten ähnelt. Zudem hat er, wie die einleitenden Polizeiprotokolle andeuten, bereits mindestens eine Frau umgebracht. Selbst wenn den Leser_innen nicht der historische Fall des Serienmörders Fritz Honka bekannt sein sollte, schürt der Text kaum Erwartungen, dass dem fiktiven Pendant ein Ausweg aus seinen Problemen möglich ist. Aussichten auf reduzierten Alkoholkonsum, beruflichen Aufstieg und vielleicht sogar soziale Kontakte, die nicht direkt mit Sex und Suff verbunden sind, keimen zwar durch seinen Job als Nachtwächter kurz auf, werden jedoch schnell getrübt und wenig später wieder völlig zunichtegemacht. Die Freude über die gemeinsamen Abende mit der Putzkraft Helga und ihrem Mann Erich kann Fiete nicht davon abhalten, sich letztendlich auch während der Arbeit maßlos zu betrinken und in Sex-, Dominanz- und Gewaltfantasien zu verlieren.5)Vgl: DGH 163.
Der zweifelhafte Held hält aber deutlich länger an seiner Hoffnung auf ein besseres Leben fest, als es die Leser_innen für ihn tun. Honkas untrügliches Gefühl, dass er nach 17 Jahren Leid „wieder dran“6)DGH 40. sei, kann bei der Lektüre nur schwer geteilt werden. Näher liegt es, mit Blick auf Strunks frühere, unverhohlen autobiographisch geprägten Prosastücke, in Der Goldene Handschuh eine erneute Verhandlung eines Motivs zu sehen, das die bisherigen Werke des Autors miteinander gemeinsam haben: die ungleiche Verteilung von Glück.
Auch bei Fleisch ist mein Gemüse (Rowohlt 2004) und Junge rettet Freund aus Teich (Rowohlt 2013) steht weniger die Bewältigung der Probleme der Protagonisten im Vordergrund, als die Darstellung ihrer schicksalhaften Perspektivlosigkeit. Die Hoffnung auf eine Verbesserung der Umstände ist auch hier präsent und motiviert sie zu Versuchen, sich mit ihrer Lage zu arrangieren oder gar aus dem Leid auszubrechen – ganz im Sinne Kluges. Tatsächliche Erfolge bleiben dann allerdings bei allen Bemühungen aus und hinterlassen die Leser_innen in einer Resignation, die nur durch die humorvolle Darstellung der fatalen Schicksale gelindert wird.
Der Goldene Handschuh verfährt ebenfalls nach diesem Muster und bildet eine Analogie zwischen den unterschiedlichen zugrunde liegenden Stoffen – Honkas Biographie wird von Strunk ebenso verarbeitet, wie dieser es bereits mit Elementen seiner eigenen getan hat. Besonders deutlich wird dies daran, dass bekannte Charaktereigenschaften seiner früheren Figuren, die sich nicht auf die historische Figur Fritz Honka übertragen lassen, auf zwei weitere Protagonisten aufgeteilt werden.
An WH 3 – dem jüngsten Spross der Hamburger Reedereifamilie von Dohren – zeigen sich die schmerzvollen Erfahrungen eines pubertierenden Teenagers, der aufgrund von Minderwertigkeitskomplexen und unvorteilhaftem Aussehen, nicht im Stande ist, seine erwachende Sexualität zu kontrollieren oder gar mit jemandem zu teilen. Damit weist er starke Gemeinsamkeiten zu den Protagonisten aus Junge rettet Freund aus Teich und besonders aus Fleckenteufel (Rowohlt 2009) auf. Karl von Lützow – der blasierte Anwalt – dagegen verbindet sein Verdruss am tristen Alltag eines bürgerlichen Lebens mit den Hauptfiguren aus Fleisch ist mein Gemüse, Die Zunge Europas (Rowohlt 2008) und Heinz Strunk in Afrika (Rowohlt 2011).
Transkription der Geschichte
Der Goldene Handschuh scheint in erster Linie weder eine detailgetreue Rekonstruktion des Falls ‚Fritz Honka‘ noch eine authentische Darstellung der Hamburger Kneipenszene in den 1970er Jahren sein zu wollen. Heinz Strunk selbst äußert in verschiedenen Interviews, dass er zwar viele Informationen den originalen Prozessordnern entnommen habe,7)Vgl: Dokumentation: Heinz Strunk – Der goldene Handschuh, veröffentlicht: 29.02.2016 https://www.youtube.com/watch?v=eIuy4YEBv8s sich zu seinen Schilderungen in der Kiezkneipe allerdings von Erfahrungen aus Besuchen im Goldenen Handschuh und anderen Kneipen erst ab 2009 inspirieren ließ.8)Vgl: ARD-Sendung: Druckfrisch gesendet: 03.04.2016 http://www.daserste.de/information/wissen-kultur/druckfrisch/videos/heinz-strunk-der-goldene-handschuh-100.html Das besondere Vokabular des Protagonisten und der ‚Handschuhler‘ basiere neben dort gesammelten Eindrücken zum großen Teil auf sprachlichen Eigenkreationen.9)Ebd.
Eine ethnographische Motivation kann dem Roman offenbar nur bedingt unterstellt werden, dennoch scheint die Absicht zu bestehen, Einzelschicksalen aus einem Milieu am Rande der Gesellschaft ein Forum zu bieten und diese in einem subjektiv abgewandelten Modell der Wirklichkeit zu Wort kommen zu lassen. Genau wie die antirealistische Weltwahrnehmung, die bereits den Figuren in Strunks Texten unterstellt wurde, könnte auch Strunks Gestus des Erzählens als ein Akt der Transkription verstanden werden. Trotz seiner Abweichung von der historischen Realität wird dieser, in Alexander Kluges Sinne, zu einer Darstellungsform von Wirklichkeit:
Das [die illusionistische Abfälschung der Wirklichkeit] ist Transkriptionsarbeit. Das machten die Mönche früher mit den heiligen Texten, diese änderten sich unter der Hand, und das machen Menschen mit ihren Erfahrungen. Und die Erzählung ist deswegen überall wie eine stille Post, bei der sich durch die Mitteilung etwas sukzessiv und langsam ändert. Das tut es auch mit dem Menschen, wenn er monologisiert. Dann spricht er mit sich und in ihm sprechen andere.10)Kluge TC 00:30:20
In Der Goldene Handschuh lassen sich Zeugnisse von Ereignissen finden, die bereits einige Jahrzehnte zurückliegen und mit jüngeren, persönlichen Impressionen sowie Strunks poetologischen Mitteln und Motiven angereichert und verarbeitet wurden. Handelt es sich also um eine Form von ‚stiller Post‘, können die Lesenden zwar (wieder einmal) nicht auf eine objektive Wahrheit hoffen, aber wenigstens durch Fiete, Karl von Lützow, WH 3, Soldaten-Norbert und Tampon-Günter viele subjektive Stimmen von den Facetten menschlichen Leids sprechen hören, sich über sie ekeln und mal mit und meistens über sie lachen.
Schreibe einen Kommentar