Postfaktische Emotionalität_en: Vom Phänomen des wütenden weißen Mannes und warum wir darüber nachdenken müssen, was wir dagegen tun können
12. Dezember 2016 - 2016 / Allgemein / Maskulin*identität_en / soziotext
Von Michael Pollok
Das Jahr 2016 ist das Jahr der Postfaktizität. Es ist auch das Jahr des wütenden weißen Mannes. Beide Phänomene sind eng miteinander verknüpft. Scheinbar plötzlich ist ein überaus wütender, politisch unerfahrener, weißer Mann in einer der größten demokratischen Industrie- und Militärnationen zu einem der mächtigsten Menschen der Welt gewählt worden. Was als allgemeiner Beitrag zur Einbettung von so genannter Emotionsarbeit in die neoliberalen Lebenswelten, in denen wir leben, und spezifischer zu den Implikationen für moderne Maskulinitäten geplant war, wurde zur akuten politischen Herausforderung: Wie werden Emotionen als postfaktisch eingebettete Emotionalität_en gesellschaftlich interpretiert, bearbeitet, gesteuert und eingesetzt und wie finden diese einen gefährlichen Ausdruck in der Praxis von überholten Männlichkeitsvorstellungen? Es soll für eine systematische Betrachtung zunächst umrissen werden, über was genau wir eigentlich sprechen, wenn wir über wütende weiße Männer reden. In einem zweiten Schritt soll aus einer kritischen, kultursoziologischen Perspektive eine mögliche Herangehensweise zur Theoretisierung von Emotionen und ihrer Einbettung in neoliberale Arbeits- und Lebenswelten vorgeschlagen werden. Diese wird insbesondere über die Erweiterung klassischer Ansätze durch eine intersektionale Ungleichheitsperspektive gewährleistet. Im letzten Teil geht es darum, zu zeigen, warum das Phänomen des wütenden weißen Mannes uns beschäftigen sollte und wie damit umgegangen werden könnte. Es soll deutlich werden, dass selbst in einer postfaktischen Welt anti-emanzipatorischen, patriarchalen Maskulinitäten kein legitimer gesellschaftlicher und damit auch politischer Raum gelassen werden sollte.
Überholte Maskulinität: Wütende weiße Männer
Man kann durchaus behaupten, dass wütende weiße Männer kein wirklich neues Phänomen sind und muss auch nicht lange darüber diskutieren, dass wir immer noch in einer heteronormativen, chauvinistischen Gesellschaft leben. Folgt man jedoch dem US-amerikanischen Autor Michael Kimmel (2015), ist das derzeitige Aufbegehren dieser Männer in sozialen Netzwerken und stetig zunehmend auch im öffentlichen Kontext Symptom des Niedergangs einer Ära, die geprägt war von den Vorrechten und der Vorzugsbehandlung des weißen heterosexuellen Mannes. Für diese Männer fühlt sich Gleichberechtigung an wie eine kränkende Enteignung: „Sie meinen einen Anspruch zu haben, der nicht mehr erhoben werden kann“ (Kimmel 2015). Als Gegendiskriminierung empfunden entsteht das Gefühl, dass sich Frauen*, Schwarze oder Homosexuelle Überprivilegierungen unrechtmäßig angeeignet hätten. Der Konservative Wayne Allyn Root (2016) bringt es wie folgt auf den Punkt: „The sorry truth is that the pendulum has swung way too far in the other direction. It has gotten to a point where virtually every action, law and utterance out of our nation’s first black president’s mouth is intended to denigrate or damage the predominantly white [male] middle class“. Die wütenden weißen Männer kommen dabei nicht nur aus ‚abgehängten Unterschichten‘, sondern sind in allen sozialen Milieus zu Hause. Allein die Existenz und die politische Aufmerksamkeit auf alternative, von der heteronormativen Kernfamilie abweichende Lebensstile werden von diesen „politischen Kriegern“ (Schildmann/Meßmer 2015) als Kampfansagen an die heteronormative Ordnung interpretiert. Dabei sind die Vorteile von Lebensstilen abseits von zum Beispiel überholten Familienkonstellationen laut Kimmel aus Sicht des Großteils der sozialwissenschaftlichen Studien ganz deutlich: „Männer sind gesünder, glücklicher, sie sind weniger anfällig für Drogen und besuchen seltener einen Therapeuten, wenn sie in einer Beziehung leben, in der sich die beiden Partner die Kindererziehung und die Hausarbeit teilen“ (Kimmel 2015). Trotzdem ist für diese Männer das Gefühl des Abgehängtseins und des Diskriminiertseins real. Dies ist nicht zu unterschätzen, wenn man bedenkt, dass diese den zentralen Unterstützerkern des baldigen Präsidenten der USA bilden. Eine Tatsache, die noch einmal die Notwendigkeit verdeutlicht, zu verstehen, woher ihre Wut kommt und wie sie sich artikuliert. Offensichtlich sind nicht Fakten, sondern eben auch Emotionen zu einem der zentralen Faktoren im gesellschaftlichen und politischen Alltag geworden. Die Einbettung einer ungleichheitssensiblen Theoretisierung von Emotionen soll helfen, zu verstehen, wie damit umzugehen ist.
Postfaktische Emotionalität_en: Emotionsarbeit im Neoliberalismus
Emotionen sind eine Art von Weltaneignung und geben Auskunft darüber, welche Bedeutung bestimmte Personen oder Gegenstände für das Individuum haben ((Gemeinsam erarbeiteter Minimalkonsens aus dem Seminar ‚Wirtschaftliche Emotionen? Zur Ökonomisierung der Gefühle und der Emotionalisierung der Gegenwartskultur‘ mit Mag. Sarah Miriam Pritz, Bakk. phil im Sommersemester 2016 an der Goethe-Universität Frankfurt.)). Es soll hier vor allem die wesentliche Leistung einer empirisch-soziologischen Perspektive auf Emotionen betont werden, welche diese als Wertungen und Interpretationsleistungen versteht. Emotionen schaffen soziale Orientierung, haben in ihrer Prozesshaftigkeit Auswirkungen auf das soziale Miteinander und sind in historische und kulturelle Kontexte eingebunden. Als veränderbare und inkorporierte Sozialität werden Emotionen in Körper eingeschrieben und habitualisiert und bedingen in den jeweiligen sozialen und kulturellen Kontexten, in denen das Individuum agiert, eine spezifische Wahrnehmung der Wirklichkeit.
Die Frage, wie sich diese Art der Weltaneignung äußert, ist nicht unerheblich in einer neoliberalen ((Neoliberalismus hier im weitesten Sinne verstanden als sich selbst regulierende Märkte, niedriger Grad staatlicher Kontrolle über den Markt, Wettbewerb, hohe individuelle Verantwortlichkeit und persönliche Anstrengung, Gerechtigkeit, Fairness, rationale Kosten-Nutzen-Abwägungen.)) Arbeits-, Konsum- und Beziehungskultur, die hier einen wichtigen Referenzpunkt darstellen soll. Denn Emotionen sind auch „wichtige wirtschaftliche Ressourcen, deren Nutzung und In-Wertsetzung fast schon zu einer eigenen Branche des wirtschaftlichen Erfolgsprinzips wurde“ (Neckel 2014, 118). So wird erwartet, dass der souveräne „homo sentimentalis“ (ebd.) Emotionen als Schlüsselkompetenz erkennen kann, um dieses affektive Kapital geschickt in andere Kapitalien übersetzen zu können. Sei es im eigenen Interesse oder im Interesse eines Unternehmens. Dies erfordert ein überaus hohes Maß an Selbstreflexivität: „Emotions are not simply expressed or experienced […] they are also managed and regulated“ (Wharton 2014, 342). Hierbei ist wichtig, nicht zu übersehen, dass Emotionen, die wichtige Signalfunktionen im sozialen Alltag übernehmen, unter einem Zwang der ständigen Optimierung die Eigenschaft verlieren, „in ungesteuerter Weise das Individuum über seine Befindlichkeit und die Bewertung erlebter Situationen zu informieren“ (Neckel 2014, 125). Das Verhältnis zum eigenen Selbst verkommt zur entfremdeten Objektbeziehung. Die weiter zunehmende Bedeutung des kundenbezogenen Dienstleistungssektors, sexuelle Freiheiten, die zunehmende Therapeutisierung von öffentlichen und privaten Lebenswelten und nicht zuletzt das Aufbrechen geschlechterspezifischer Bedeutungen von Emotionen (männlich-rational/weiblich-emotional) konfrontieren das Individuum mit ganz neuen Chancen, gleichzeitig aber auch mit Herausforderungen in Form einer konstanten Emotionsarbeit (Penz/Sauer 2016, 10; Schnabel 2012, 9). Gleichzeitig scheint auch eine völlig ungesteuerte Emotionalität problematisch zu sein, wenn zum Beispiel die von dieser Entwicklung herausgeforderten Männer sich einem aufkommenden Gefühl des Abgehängtseins hingeben und sich ihre Wut diskursiv materialisiert. Diese erste Erkenntnis führt deutlich vor Augen, dass Emotionen eine wichtige Rolle im sozialen Alltag zukommt und sie stets sozio-kulturell eingebettet sind und bearbeitet werden (können). Der wütende weiße Mann ist somit auch nicht einfach nur da, sondern lebt natürlich in einem gesellschaftlichen Gesamtkontext, der den mögliche Rahmen im Umgang und Einsatz mit Emotionen vorstrukturiert, aber stets auch Raum für Variationen offen lässt.
Arlie Hochschilds Studie ‚The Managed Heart‘ (1983) markiert die Geburtsstunde der modernen Emotionssoziologie. Zentrale Erkenntnisse betonten, dass Gefühle bewusst sind und gemanaged, also auch erlernt werden können. Wenn wir an unseren Gefühlen arbeiten, dann erschaffen wir sie zugleich und knüpfen dabei an spezifische kulturelle Kontexte, Gefühlsregeln und Sozialisationen an. Hochschild warnt jedoch, dass eine konstante, ökonomisierte Gefühlsarbeit krank machen kann. Oft kritisiert wird an diesem Ansatz die Notwendigkeit eines Authentizitätsglaubens an Gefühle. Die sozio-kulturelle Einbettung von Gefühlen mache es jedoch schwierig, Gefühle als authentisch oder unauthentisch einzustufen (Neckel 2005, 421). Kritik kommt auch aus dem so genannten Informalisierungslager, das eine zunehmende Offenheit und die damit verbundenen Chancen für das Individuum in verschiedenen Lebenskontexten betont. Insbesondere geschieht dies im Hinblick auf eine mögliche selbstbewusstseinsstärkende Wirkung einer erfolgreichen Emotionsarbeit in einem informelleren gesellschaftlichen Kontext, in dem es explizit erwünscht ist, individuelle Gefühle zu äußern (ebd.).
Sighard Neckel stellt hier die Gleichzeitigkeit von Informalisierung und Rationalisierung von Emotionen als konstitutiven aber widersprüchlichen Prozess der Moderne heraus. Neckel spricht davon, „dass zunehmende Freiheiten und zunehmender Zwang einander korrespondieren und sich nicht etwa begrenzen“ (Neckel 2005, 422; siehe auch Honneth 2002). So wenig die Errungenschaft individueller Selbstverwirklichung zurückgewiesen werden soll, gilt es an dieser Stelle auf kollektiv normierte Zwangsmechanismen aufmerksam zu machen, die das Individuum dazu zwingen, sich an emotionalen Leistungsvorstellungen auszurichten. Insbesondere Männern aus den klassischen, industrialisierten Arbeiter_innenmilieus scheint es hier schwer zu fallen, den emotionalen Anforderung einer kundenorientierten Dienstleistungsökonomie zu entsprechen. Darren Nixon’s (2009) Studie ‚I Can’t Put a Smiley Face On: Working-Class Masculinity, Emotional Labour ad Service Work in the New Economy‘ illustriert dies ganz deutlich. Sie zeigt, „that the men’s masculine working-class habitus is antithetical to many forms of entry-level service work, showing that it is the high level of emotion management required in many forms of service work“ (Nixon 2009, 302). Emotionsarbeit kann eben trotz aller positiven Auswirkungen scheitern und zu emotionalen Dissonanzen führen, wenn diese sich auf die reine „Ökonomisierung des Authentischen“ beschränkt (Boltanski/Chiapello 2003, 478; Neckel 2005, 423). Schon der Versuch, Emotionen explizit zu machen, diese einzuordnen und strategisch zu gestalten und einzusetzen, kann die wichtige soziale Funktionalität von Emotionen einschränken (Neckel 2014, 127). Dies kann über einen längeren Zeitraum zu sozialem und psychischem Leid führen. Die Müdigkeit, man selbst sein zu müssen, sowie das Leid, zu Freiheit und permanenter Selbstverwirklichung gezwungen zu werden, bis hin zu Depressionen gehören zu den stark zunehmenden Folgen dieser Entwicklung, genauso wie die Wut und Frustration, die bei den wütenden weißen Männern zum Ausdruck kommt. Die neuen Freiheiten einer Informalisierung bedeuten eben auch, bestimmte Kompetenzen ausbilden zu müssen, um mit diesen Freiheiten umgehen zu können. Die Möglichkeiten zur Erlangung dieser Kompetenzen sind aber ungleich verteilt.
Eines der Anliegen dieses Beitrags ist deswegen eine intersektionale Erweiterung der emotionssoziolgoischen Theorie vorzunehmen, um die Vielschichtigkeit einer (neoliberalen) Emotionalisierung von Gesellschaft erfassen zu können. Arlie Hochschild macht in einem bereits 1979 erschienenen Beitrag deutlich, dass es notwendig ist, die Voraussetzungen und Praxis der Emotionsarbeit zu de-essentialisieren, indem sie zeigt, wie diese Arbeit, aber auch Gefühlsregeln im Allgemeinen, von der sozialen Struktur abhängen, in denen Individuen aufwachsen und arbeiten: „Each class prepares its children to psychologically reproduce the class structure“ (Hochschild 1979, 551). Die Einforderung eines gesteigerten Emotionsmanagements ist somit vorrangig eingrenzbar als Mittelstandsphänomen. Neben einer Perspektive, die klassischerweise Geschlechtlichkeit von Emotionen betont, kommt so auch eine ökonomische und soziale Komponente hinzu, in der Individuen unter anderem die Notwendigkeit und Nützlichkeit einer Kommodifizierung ihrer Gefühle erkennen, erlernen und bewusst einsetzen. Es ist also nicht nur entscheidend, dass die wütenden weißen Männer männlich sind, sondern mit gewissen sozialen ökonomischen Umfeldern verknüpft sind, die auch mit ihrer Hautfarbe und ihrer Sexualität zusammenhängen. Es geht eben „nicht nur um normative Institutionen oder um kulturelle Regeln, sondern auch um die Verteilung von Ressourcen, um Wünsche, Bedürfnisse und Ansprüche, um Opportunitäten und Restriktionen“ (Schützeichel 2012, 475) in verschiedenen „Emotionsmilieus“ (ebd.). Emotionen als symbolisches Machtinstrument zu besitzen, hat wichtige Implikationen für eine legitime Art und Weise der Weltaneignung und -schaffung im sozialen Raum. Spürbar wird dies nicht nur in den wütenden Explosionen von chauvinistischen, patriarchalen und gewaltverherrlichenden Positionen in sozialen Netzwerken, sondern in einem zunehmenden Grad auch in gewaltvollen Ausbrüchen gegenüber Menschen, die nicht gewissen Maskulinitätsnormen entsprechen.
Der feministisch-emanzipatorische Intersektionalitätsansatz erweitert die Ungleichheitsforschung mit der expliziten Betonung auf die komplexe Verschränkung von „ethnicity, disability, age, sexual orientation and religion and towards the theoretical recognition of the importance of the intersection of multiple inequalities“ (Walby et al. 2012, 224-25). Was für eine Rolle Emotionen in sozialen Kontexten spielen und wie diese erlernt und reproduziert werden, hängt in unterschiedlichen Anteilen von je spezifisch historischen, sozio-kulturellen, ökonomischen und ethnischen Kontexten sowie dem Geschlecht ab. Eine solche erweiterte Kenntnis von Ungleichheiten kann einen wichtigen Beitrag zu einer kritischen Gesellschaftsanalyse bieten, insbesondere im Hinblick auf zunehmende, erkennbare Tendenzen der Entfremdung durch gescheiterte Emotionsarbeit und die unreflektierte politische Entfaltung von Frustration und Wut. Die Unfähigkeit von vielen wütenden weißen Männern eigene Privilegien zu sehen, hängt mit eben dieser Verschränkung von Ungleichheitserfahrungen zusammen, die es ihnen unmöglich macht, an gesellschaftsfähigeren Emotionsregimen teilzuhaben. So geht es hier nicht darum, einfach andere Identitäten anzunehmen und sich vollständig entmännlichen zu lassen, sondern Perspektiven zu eröffnen, welche die gefühlte Notwendigkeit zum Widerstand gegen zum Beispiel queere Identitäten obsolet macht.
Doch was machen wir nun mit diesen wütenden weißen Männern, die ja nun mal Teil der Gesellschaft sind, die wir alle gestalten (können), insbesondere wenn wir die Entwicklung hin zu einer postfaktischen Weltaneignung in den Kontext einer emotionalen Weltaneignung aufnehmen? Postfaktische Diskurse möchte ich in Anlehnung an Kilian Hauptmann (2016) dreidimensional charakterisieren als (1) Erzählung auf Basis der eigenen Normen, (2) Hierarchisierung von Wissen, (3) und der Kombination und Rekombination von Wissen. Aus einer postmodernen Perspektive, die hier eingenommen wird, sehe ich erst einmal noch gar nicht die grundlegende Problematik dieser Praxis der sich ständig neu konfigurierenden Wissensproduktion, was auch in einem der Kommentare auf diesen Beitrag deutlich wird: „Faktizität besteht daher nur auf Vertrauensbasis, es sei denn, man befindet sich selbst in einer ‚Faktenmacherposition‘, doch ist man dann auch nur zu einem bestimmen Bereich der ausdifferenzierten Gesellschaft in einer solchen Faktenmacherposition“ (Christian 2016). Postfaktizismus wird aber dann zu einem Problem, wenn es zur „Ignoranz evidenter Fakten“ kommt und, wie ich ergänzen möchte, wenn eine anti-emanzipatorische, rassistische Entwertung gewisser Lebensformen zum Programm gemacht und ihre Daseinsberechtigung abgesprochen wird. Ich stimme Hauptmann in seinem Anliegen zu, dass eine fundierte Textkompetenz ein guter Anfang ist und möchte mit meiner emotionssoziologischen Erweiterung eine dichtere Beschreibung anbieten.
Wie umgehen mit wütenden weißen Männern?
Die Aufgabe der hier eingenommenen, kritischen Perspektiven, besteht darin, auf den ungleichen Zugang und die Nutzungsmöglichkeit von Ressourcen zum Management emotionaler Freiheiten hinzuweisen und differenzierte Einsichten zu bieten. Die Negierung der Probleme dieses Komplexes kann zu dem problematisierenden Effekt einer Herausbildung von sich als abgehängt fühlenden Menschen führen. Das Aufkommen der wütenden weißen Männer ist ganz deutlich Ausdruck davon. Diese fühlen sich eben nicht in der Lage, ihre Emotionen produktiv in einem gesellschaftlichen Prozess zu gestalten.
Ich möchte dem Reflex widerstehen, mich über diese „wütenden Männer“ aufzuregen. Aber was wären alternative Strategien? Eine sich in Trauer über die Aussichtslosigkeit verlierende Resignation oder ein intellektualisierter Zynismus scheinen zwei durchaus ertragreiche, aber kurzfristige Reaktionen zu sein. Wirklich befriedigend scheinen diese, aus einer Perspektive, die politisch sein will, aber nicht. Eine längerfristige Perspektive interessiert sich für die Schaffung von nachhaltigen Strukturen, die es Individuen ermöglichen, gleiche Zugangs- und Gestaltungsmöglichkeiten zu Gefühlsregimen zu erhalten. Im Kontext von Emotionen als wichtige gesellschaftliche Ressourcen scheint dies die naheliegendste Forderung zu sein. Doch wirkliche Perspektiven für den Umgang mit dem akuten Problem der wütenden weißen Männer sind damit nicht gefunden, sondern verbleiben auf der Rekonstruktion ihres Ursprungs. Kann man sich nun einfach damit zufrieden geben, dass es sich hier um eine verlorene Gruppe handelt, die nicht in der Lage ist, aktiv am gesellschaftlichen Wandel teilzuhaben?
Eine, wenn nicht die einzige Möglichkeit, die ich sehe, liegt darin, die emanzipatorisch, nicht-ausschließende Erzählungen stark zu halten oder stärker zu machen und die damit verbundenen Emotionalitäten in einer selbstbewussten Art und Weise wieder politischer werden zu lassen. Wichtig ist, über Möglichkeiten zur Überwindung von Kommunikationsbarrieren nachzudenken. Es geht darum, „Faktenproduktion“ zu rekonstruieren und gegenseitig verständlich zu machen. In einer Welt, in der es unmöglich scheint, sich auf eine essentielle Grundlage zu beziehen, muss es umso wichtiger werden, die sozio-kulturellen Entstehungsprozesse von in Sozialität eingebetteten Emotionen als Ausdruck von Wünschen und Erwartungen offen zu legen und zu verstehen. Denn, ohne die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Positionen von Faschisten rechtfertigen zu wollen, die Wut und das destruktive Potential der wütenden weißen Männer sind Fakten, die es zu entzaubern gilt. Eine der zentralen Aufgaben ist also das Übersetzen von (emotionalen) Welten, um diese für andere politisch intelligibel zu machen, sodass es überhaupt erst möglich wird, zu streiten und Wut und Frustration produktiv werden können. Dies ist kein Plädoyer für die Aufgabe einer detaillierten und ausdifferenzierten Analyse von Gesellschaft und den daraus folgenden Politiken (eine Gefahr, die ich beim linken Populismus sehe). Ganz im Gegenteil: Es geht darum, die verschiedenen Positionen zu verstehen und eine Grundlage für eine gesellschaftliche Auseinandersetzung zu schaffen. Die einzige Einschränkung, die sich dabei auftun muss, ist der Ausschluss von menschenfeindlichen, Ungleichheit fördernden Positionen, also auch der Ausschluss einer auf Zugangsprivilegien zu den wichtigsten gesellschaftlichen Ressourcen beruhenden weißen, heteronormativen Maskulinität. Eine Maskulinität, die der zukünftige Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika verkörpert.
Literatur
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