Sexismus im Fußball als falsch verstandene Männlichkeit

28. November 2016 - 2016 / Maskulin*identität_en

Es gibt wohl kaum eine Sportart oder ein Hobby, das als männlicher gilt als der Fußball – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Und dennoch begeistern sich auch viele Frauen für die schönste Nebensache der Welt und finden sich plötzlich in einem Umfeld wieder, in dem eine ganz bestimmte Art von Männlichkeit an der Tagesordnung ist. Doch was für eine Männlichkeit ist das, die sich da in der Fußballfankultur zeigt?

„Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden“, so beschreibt Arsenal-London-Fan Nick Hornby in seinem autobiographischen Roman „Fever Pitch“ seine ersten Schritte als Fußballfan. Das Buch gilt als Standardwerk für Fußballfans und ist eine Liebeserklärung an den FC Arsenal, den Fußball und die Fankultur. Fußballfans können das Zitat nachvollziehen, für Außenstehende mutet es reichlich kitschig an. Jedenfalls hat es ewige Berühmtheit erlangt und wird immer wieder genutzt, wenn es um Leidenschaft von Fußballfans geht. Nun war Nick Hornby tatsächlich ein Mann, der sich als heterosexuell bezeichnete. Sein Vergleich ist also an sich nicht verwerflich. Dennoch kann unreflektiertes Zitieren dieser Passage dann zum Problem werden, wenn es ohne Einordnung wiedergegeben wird, um damit einen prototypischen Fußballfan zu beschreiben. Demnach besonders leidenschaftliche Fußballfans in der Regel heterosexuelle Männer sind. Viele werden nun denken, dies ist doch keine neue Erkenntnis.

Männderdomäne Fußball
Denn wenn über Fußball gesprochen wird, dann ist – ganz selbstverständlich – der Männerfußball gemeint. Wenn über große Stars des Weltfußballs gesprochen wird, dann geraten Fußballfans ins Schwärmen: Es geht um Maradona, Müller oder Messi. Fast nie geht es um Martha, Wambach oder Prinz. Auch wenn Fußballfans von Regenschlachten, Phantomtoren, Pfostenbrüchen, umgefallenen Toren oder Wettskandalen reden, geht es strenggenommen nie um den Fußball im Allgemeinen, sondern um den Männer-Fußball. Und allein die Tatsache, dass dieser Text den Begriff Fußballfans verwendet, ohne zu erwähnen, dass es um Fans geht, die sich fast ausschließlich mit Männerfußball beschäftigen zeigt, dass der Fußball in der Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft eine Männerdomäne ist.

Nun ist unsere Gesellschaft historisch betrachtet patriarchal geprägt. Glücklicherweise gibt es Menschen, die dies kritisch sehen. Wer sich jedoch mit dem Fußball und seinen Strukturen auseinandersetzt, den wird es kaum überraschen, dass solche Tendenzen den Fußball bisher kaum erreicht haben. Denn wenn Pal Dardai, aktueller Trainer des Bundesligisten Hertha BSC Berlin, nach einem hart umkämpften Spiel stolz verkündet: „Fußball ist eben Männersport!“, dann hat diese Aussage zwei Seiten. Auf der einen Seite macht Dardai deutlich, dass er den Fußball als männlichen Sport sieht. Auf der anderen Seite impliziert die Aussage aber auch, dass Härte, Durchsetzungsfähigkeit und Kampfgeist Eigenschaften sind, die Männer besitzen. Und Frauen eben nicht? Und damit beweist Dardai auch, dass Fußballsachverstand keine Garantie für normalen Verstand zu sein scheint. Aber Dardai ist kein Einzelfall. Auch der fußballdeutsche Liebling Rudi Völler steht symbolisch für die Rückständigkeit vieler Fußballfunktionär_innen. Völler – der aufgrund seiner einstigen Haarpracht übrigens total unmännlich „Tante Käthe“ gerufen wurde – und sein Umgang mit Journalist_innen offenbaren ein regressives Weltbild. Mal tätschelt er arrogant die Hand einer Journalistin, mal unterstellt er Frauen pauschal, sie hätten keine Ahnung vom Fußball. Es gibt nur einen Rudi Völler. Und das ist auch gut so!

Aus Braun wurde bunt – die Fankurven
Die Liste ließe sich ewig fortführen. Im Deutschen Fußballbund und in allen Institutionen des Fußballs dominieren alte Männer in grauen Anzügen. Da überrascht die rückständige Männlichkeit, die sich im Fußball breit gemacht hat, wenig. Spannender ist ein Blick in die Fankurven, die in der Geschichte des Fußballs schon viel Positives bewegt haben.

Wer die Fankurven in Deutschland in den letzten 15-20 Jahren beobachtet hat, der wird große Veränderungen festgestellt haben. Lange galten sie als Ort, an dem sich Männer in Jeansjacken und ranzigen Trikots zum gemeinsamen Biertrinken trafen – so die eine Sichtweise. Oder aber die Mehrheit der Außenstehenden stellte sich das Stadion als Ort vor, an dem Nazis in Bomberjacke Jagd auf andere machten. Es gab beides. Die Biertrinker und die Nazis. Die Nazis können ihre hässlichen Parolen heute zwar glücklicherweise lange nicht mehr so unverhohlen loswerden – vollständig verschwunden sind sie jedoch nicht. Jedenfalls dachte man an Männer. Mittlerweile sind jedoch 30 Prozent der Stadionbesucher_innen Frauen. Die Fankurven sind bunter geworden, es haben sich Fanbündnisse formiert, die gegen Diskriminierung vorgehen, diese thematisieren und sie bekämpfen. Diese Entwicklungen haben die Ultras vorangetrieben, die seit Anfang der 2000er die Fankurven in Deutschland prägen. Klar ist jedoch, dass es innerhalb der Ultrakultur auch Gewalt gibt. Und wenn man an Gewalt denkt, dann denkt man irgendwie auch an Männer. Also an Männlichkeit, oder?

Die Suche nach Männlichkeit
Wenn ich mich mit Freund_innen darüber unterhalte, was Männlichkeit ist, dann wird klar, dass der Begriff durch immer wiederkehrende Stereotype besetzt ist. Jede_r kann etwas dazu sagen und hat zumindest vage Vorstellungen davon, was „männlich“ ist. Es fallen immer die gleichen Begriffe. Es geht meist irgendwie um Stärke, Muskeln, Mut, Durchsetzungsvermögen, Unabhängigkeit, Bier, Autos, Freundschaft und – wie sollte es anders sein – um Fußball!

Ähnliche Antworten bekam auch Almut Sülzle, die in ihrer Studie „Frauen, Fußball, Männlichkeiten“ (2011) schildert, welche Antworten sie auf die Frage „Was ist männlich?“ erhielt. Ergänzt wurden zwar Begriffe wie Technik, Motorräder, Boxen, Computer, Krieg, Pornographie oder Militär. Doch auch Sülzle stellte fest: Fußball wurde immer genannt – meist sogar an erster Stelle. Diese kurze Auseinandersetzung mit dem Begriff macht deutlich, dass das individuelle Verständnis von Männlichkeit abhängig davon ist, was gesellschaftlich mit Männern verbunden wird. Letztlich versteht man unter dem Begriff also nur das Verhalten, das Aussehen oder eben die Eigenschaften, die als männlich empfunden und daher eher Männern zugeschrieben werden.

Hegemoniale Männlichkeit
Was also als männlich gilt, das kann sich im Laufe der Zeit ändern. Und so betont Sülzle, dass mit fußballtypischen Männlichkeitsnormen häufig solche gemeint sind, die auf veraltete Männlichkeitsmuster zurückzuführen sind. Wer die Ultrakultur verfolgt, der weiß, dass es neben der großen Zuneigung und Unterstützung des Vereins auch um die Abgrenzung zu gewissen gesellschaftlichen Strukturen und vor allem zu Fans und Ultras anderer Vereine geht. Wissenschaftler_innen sprechen von einer Provokationskultur. Auf der einen Seite ist sie Grund für die Faszination, die von der Ultrakultur ausgeht, auf der anderen Seite ist die Provokationskultur manchmal auch ein Nährboden für Diskriminierung und Ausgrenzung. Denn wer sich mit den teilweise kreativen und lustigen Provokationen in Form von Spruchbändern, Choreographien oder Gesängen zwischen Ultras auseinandersetzt, der wird immer wieder beeindruckt und amüsiert sein. Manchmal wird er aber auch erschrocken sein, welch rückwärtsgewandte Statements unter dem Deckmantel der Provokation zum Vorschein kommen.

Der freie Journalist und Autor Jan Tölva beschreibt in seinem Artikel „Fußball ist alles – auch lesbisch und schwul“ (2015), wie sich (hegemoniale) Männlichkeit in unserer Gesellschaft äußert. Als besonders männlich gelten die oben genannten Attribute, Eigenschaften oder Interessen. Nach Tölva wird Männlichkeit gesellschaftlich aberkannt, indem einer anderen Person weiblich konnotierte Eigenschaften zugesprochen werden. Dazu nennt er die Möglichkeit des Bezeichnens als nicht-männlich, weil weiblich, schwul, transgender oder schwach. Setzt man sich mit der aktuell von Ultras dominierten Fankultur in Deutschland auseinander, so stößt man auf ähnliche Mechanismen. Doch wie äußert sich das in Fußballfankulturen?

Zwischen Männlichkeit, Homophobie und Sexismus
„Kämpfen bis die Fotzen liegen!“, so prangte es auf einem riesigen Spruchband, das die „Ultras Hannover“ am 1. Oktober 2016 im Spiel gegen den FC St. Pauli zeigten. Provokationen gehören unter Ultras dazu. Auch davon lebt eine Subkultur. Und auch wenn diese Provokation auf den ersten Blick einfach nur geschmacklos scheint, so ist sie noch mehr als das: Die sexistische Gewaltandrohung der Hannoveraner Ultras an ihre Rival_innen des Hamburger Kiezclubs ist ein Zeichen falsch verstandener Männlichkeit. Denn männlich, so sagt das Spruchband aus, sei nur, wer zu körperlichen Auseinandersetzungen bereit ist und sich von allem Weiblichen abgrenzt, es gar verachtet. Die von Tölva für den Fußball beschriebene hegemoniale Männlichkeit eben.

Nun gilt die Fan- und Ultraszene des FC St. Pauli als linksalternativ, antifaschistisch und progressiv. „Ultrá St. Pauli“, die größte Ultragruppe des Vereins hat viele Frauen in ihren Reihen, was innerhalb der Ultraszene in Deutschland eher eine Seltenheit ist. Das macht die Gruppe immer wieder zur Zielscheibe sexistischer Provokationen von Gruppen, die ihre Männlichkeit, so scheint es, durch den Ausschluss von Frauen beweisen möchten. Insbesondere die „Ultras Dynamo“ aus Dresden fielen hier immer wieder durch sexistische Beleidigungen in Richtung der weiblichen Ultras auf. Ein unschönes Beispiel war das Spruchband: „USP Frauen aus dem Gästeblock, damit die Küche lebt“, welches die „Ultras Dynamo“ im Heimspiel gegen St. Pauli zeigten. Im Übrigen wurde es im Anschluss an das Spiel von den weiblichen Mitgliedern der Gruppe „Ultrá St. Pauli“ entwendet, um damit auf einem Foto drohend zu posieren. Inklusive eines kurzen Statements in Richtung der Dresdner, in dem zumindest implizit Gewalt angedroht wurde. Dabei ist Stärke zeigen und die Bereitschaft zu Gewalt doch eigentlich Zeichen für Männlichkeit, oder etwa nicht?

Wie undurchsichtig die Fan- und Ultraszenen sind, wenn es darum geht wie sich Männlichkeit äußert, zeigt sich an einem weiteren Beispiel aus der Hannoveraner Ultraszene. Die oben noch als Negativbeispiel aufgeführte Ultraszene fiel ein gutes Jahr vorher positiv auf. Es war nun zwar nicht die Gruppe der „Ultras Hannover“ die kreativ wurde, aber mit der „Brigade Nord“ eine Ultragruppe desselben Vereins. Sie zeigte eine Choreographie unter dem Motto „All Gender are beautiful!“, auf der weibliche und männliche Ultras nebeneinander jubelten und setzte so ein Zeichen gegen Sexismus und falsch verstandene Männlichkeit. Diese Beispiele zeigen, dass es grundverschiedene Ansätze und Ansichten gar innerhalb der Ultra- oder Fanszene eines Vereins gibt.

Die Männlichkeit im Fußball wird also auf verschiedene Weisen interpretiert, ausgelegt und im aktiven Leben als Fan oder Ultra umgesetzt. Wer sich regelmäßig in den Fankurven des Landes aufhält und sich für aktive Fan- und Ultrakultur interessiert, der begegnet immer wieder Ausprägungen überhöhter Männlichkeit, die in homophoben, sexistischen oder anderen diskriminierenden Aussagen oder Provokationen münden. Dennoch gibt es ebenso viele Initiativen, Gruppen oder Einzelpersonen, die sich gegen Sexismus oder Homophobie als Ergebnis falsch verstandener Männlichkeit in Fußballfankulturen wenden. Seit Jahren arbeiten beispielsweise verschiedene Fan- und Ultragruppen im Bündnis „Fußballfans gegen Homophobie“ zusammen. [An dieser Stelle ein freundlicher Verweis auf unser Interview von letzter Woche mit Jan Duensing von Feiner Fußball.] Zeitgleich wirken aktive Ultragruppen immer mehr dem Problem des Sexismus entgegen. Betritt man die Fankurven dieses Landes, dann wird die Notwendigkeit dieses Kampfes klar. Zwar ist die allzu plumpe Männlichkeit auf dem Rückzug, frauenfeindliche oder homophobe Sprüche gibt es allerdings immer noch.

Fortschritt bedeutet Mut – nicht nur in der Fankultur
Das Problem ist allerdings keines, das die Ultras oder die Fankurven exklusiv betrifft. Letztendlich bildet eine Fankurve oder eine Ultragruppe auch nur gewisse gesellschaftliche Strömungen ab. So sind Fankurven – anders als oft behauptet – zwar kein „Spiegelbild der Gesellschaft“, denn dazu ist der Frauenanteil, der bei etwa 30 Prozent liegt, zu gering. Vielmehr eignet sich das von einigen Fanforschern immer wieder benutzte Sprachbild der Fankurven als „gesellschaftliches Brennglas“, unter dem bestimmte Phänomene verstärkt abgebildet werden. Denn überhöhte Männlichkeit führt mit Sicherheit auch in anderen gesellschaftlichen Kontexten zu Diskriminierungsformen. Durch den höheren Männeranteil in den Fankurven wird das Problem hier jedoch verstärkt.

Es gilt allerdings nach vorne zu schauen. Die 80er und 90er standen für offenen Rassismus und Antisemitismus in Fußballstadien. Dass diese Zeiten weitgehend vorbei sind, ist zum Großteil aktiven Fans und Ultras zu verdanken. Nun ist es an der Zeit, die verbliebenen Diskriminierungsformen zu verbannen. Doch das wird nur gelingen, wenn Männlichkeit im Stadion endlich richtig verstanden wird. Denn wenn es männlich, ja sogar menschlich ist, stark oder unabhängig zu sein, dann ist das eine große Chance. Mutig ist, wer Fortschritt vorantreibt. Für die Fankurven ist es höchste Zeit, sich von den veralteten Werten zu lösen, die Männlichkeit scheinbar für viele bedeuten und sich stattdessen an moderneren Männlichkeiten zu orientieren. Denn Männlichkeit, Fußball und Fußballfankultur sind viel schöner ohne Diskriminierung. Und dann verlieben sich hoffentlich weiterhin Menschen so in den Fußball, wie es einst Nick Hornby getan hat. Und glaubt mir: es lohnt sich!

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› tags: Diskriminierung / Fankultur / Fankurven / Fußball / Fußballfans / Homophobie / Männlichkeit / Maskulin*identität_en / Mut / Provokation / Sexismus / Stereotype / Ultras /

Comments

  1. anapol sagt:

    neben fußballfans gegen homophobie gehört unbedingt das netzwerk f_in – frauen ilm fußball erwähnt, das sich explizit mit sexismus auseinander setzt und weibliche positionen im fußball sichtbar macht. 😉

  2. […] Dominik Bäcker hat sich mit Jan Dünsing, Projektkoordinator für die Bildungsinitiative ‘Feiner Fussball’ über Homo-, Bi- und Transphobie in der so oft als Männerdomäne verstandenen Sportart unterhalten. David Büchler analysiert hingegen die Rolle von Männlichkeit in der Ultra-Kultur. […]

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