Reine Beethoven-Verehrung? – E.T.A. Hoffmann rezensiert die Fünfte

19. April 2021 - 2021 / Allgemein / Kulturproleten meets Beethoven

Während sich Chuck Berry in Gedenken an Beethoven „schüttelt und wälzt“ und Charles Bukowski Geniekult und Kosenamen vereint, beginnt die Beethoven-Verehrung bereits zu Lebzeiten „des Meisters“. E.T.A. Hoffmann schreibt 1810 – mutmaßlich wie Bukowski bei einem Gläschen Wein – die wohl bekannteste Beethoven-Rezension. Zu diesem frühen Zeitpunkt im 19. Jahrhundert entdeckt nicht nur Hoffmann seine Freude zur Schriftstellerei, durch seine Beiträge ist er auch aktiv in den Professionalisierungsprozess des Musikjournalismus einbezogen.

Rec. glaubt sein Urtheil über das herrliche Kunstwerk des Meisters in wenig Worte zusammenfassen zu können, wenn er sagt: dass es genial erfunden, und mit tiefer Besonnenheit ausgeführt, in sehr hohem Grade die Romantik der Musik ausspreche[1]

‚Das herrliche Kunstwerk des Meisters‘ – ohne Namen und Titel zu nennen, ist im Jahr 1810 wie auch im Jubiläumsjahr 2020 klar: es geht um den Beethoven und die Sinfonie. Beethoven ist der, „dem als Instrumental-Componisten jetzt wohl keiner den ersten Rang bestreiten wird“; (Sp. 630) die Namensnennung dieses Genies ist nicht nötig. Die Fünfte, entstanden in Beethovens produktiven Jahren 1807/08, ist aufgrund des markanten Anfangsmotivs in die Geschichte eingegangen. Der „nur aus zwey Takten bestehende Hauptgedanke […] entscheidet den Charakter des ganzen Stücks“. (Sp. 634)

Die Rezension erscheint anonym, wie in der Allgemeinen musikalischen Zeitung (i. F. AmZ) üblich. Doch es ist kein Geheimnis, dass sich der vielfachbegabte aber zeitgenössisch nur mäßig-erfolgreiche E.T.A. Hoffmann hinter dem „Rec.“ verbirgt und mit dieser frühen und ungewöhnlich langen Rezension dauerhaft Spuren in der Musikwelt hinterlässt. In den Jahren 1809 bis 1815 erschienen in dieser Fachzeitschrift zahlreiche literarische und musikjournalistische Beiträge aus seiner Feder.[2] Darunter sind vier weitere Rezensionen zu Beethovens Werken. Der langjährige Herausgeber Friedrich Rochlitz erkennt früh das Talent dieser „gattungsüberschreitenden Autorschaft“[3] des jungen Hoffmann, der als Kapellmeister in Bamberg und Musikdirektor in Leipzig gescheitert war. In dieser finanziellen, künstlerischen und persönlichen Notlage erwächst durch das Schreiben über, zur und für Musik[4] ein schriftstellerisches Interesse. Aus der Notlage wird zunehmend eine ernstzunehmende schriftstellerische Produktivität, die dem gelernten Juristen später zu Weltruhm verhalf.[5]

© AMZ 4. Juli 1810

Die Popularität der Beethoven-Rezension[6] ist bis heute ungebrochen. Der musikalische Gegenstand und vor allem die ästhetische Debatte der Einleitung reizen zeitgenössische Konventionen der AmZ aus. Zunächst postuliert Hoffmann, dass er „die Gränzen der gewöhnlichen Beurtheilung überschreiten[]“ (Sp. 631) wolle und verfällt dann doch in Muster, die Rochlitz als Normierung anstrebt: „Prüfen, Einordnen, Erläutern, Anleiten zum richtigen Hören [sollten] die Rezensionen möglichst präzise“.[7] Entgegen Hoffmanns zuerst geäußerten Bestreben „alles das in Worte zu fassen […], was er bey jener Composition tief im Gemüthe empfand“, (Sp. 631) nimmt die Analyse schließlich doch zwei Drittel der Rezension ein. (ab Sp. 634) Diese ist mit Musikzitaten und musikalischem Fachvokabular gespickt, wodurch eine „faszinierende Dualität von poetischer Paraphrase und rationaler Materialbeschreibung […] erwächst“,[8] die sein musikalisches Fachwissen und sein poetisches Gespür gleichermaßen ausdrücken. Diese Dualität spinnt er auf der Metaebene weiter, indem er eine bis dato in der Musik nicht geführte Epochendebatte einleitet: „Die Instrumental-Compositionen aller drey Meister [Haydn, Mozart und Beethoven] athmen einen gleichen romantischen Geist“. (Sp. 632) Aus der Literatur überträgt Hoffmann den Romantikbegriff in die „verspätete Kunst“ der Musik, die „die romantischste aller Künste, – fast möchte man sagen, allein rein romantisch“ (Sp. 631) sei. Dadurch entsteht in seiner Argumentation ein verzerrtes, ja bizarres Bild der Einordnung Mozarts und Haydns als Romantiker, die sich nicht an stilistischen Mitteln festmachen lässt. Hoffmann begründet dies aus emotionaler Perspektive: Während Mozart „in die Tiefen des Geisterreichs führt“, (Sp. 632) „öffnet uns auch Beethovens Instrumental-Musik das Reich des Ungeheuren und Unermesslichen.“ (Sp. 632-633)

Emotionalität ist die eine Seite der romantischen Medaille, die der „Rec.“ nie lebhafter gefühlt habe, „als bey der vorliegenden Sinfonie“. (Sp. 634) Die andere Seite ist die Dichotomie zwischen Vokal- und Instrumentalmusik und eine Absage an jegliche Programmatik: „Wenn von der Musik als einer selbstständigen Kunst die Rede ist, sollte immer nur die Instrumental-Musik gemeint seyn“. (Sp. 631) Gegenständlichkeit oder Programme sind für Hoffmann nicht romantisch und verwehren Zugriff auf Metaphysisches. Diese Aussage verwundert. So entwickeln sich doch gerade Bühnenmusik und Kunstlied zu beliebten Gattungen der Romantik und auch im kompositorischen Schaffen Hoffmanns zeigt sich ein anderes Bild: Er komponiert nur eine Sinfonie, weltlich-vokale Musik hingegen bestimmt sein Œuvre.

Hinter dem Schleier romantischer Worthülsen verbirgt sich noch Weiteres. Die AmZ ist Publikationsorgan des mächtigen Musikverlags Breitkopf und Härtel. Somit sollten Lobeshymnen, romantische Wortfelder und jede Menge Attribute nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei dieser Rezension um ein Auftragswerk handelt, das neuste Verlagserscheinungen für ein Fachpublikum bewirbt.[9] Hoffmanns umfangreicher Einbezug von Musikzitaten bekommt dadurch eine Mehrfachfunktion. Partitur-Zitate stehen 1. für eine fachliche Beurteilung mit Nähe zum Analysegegenstand, 2. dort, wo das Vokabular nicht ausreicht, wo die romantische Sprache das Metaphysische nicht aussprechen kann und 3. zeigen sie den professionellen Notensatz, der für nur 4 Reichstaler und 12 Groschen bei Breitkopf und Härtel erworben werden kann. Einen Klavierauszug für vier Hände, der im Anschluss kurz beworben wird, gibt’s gar zum halben Preis; obwohl der „Rec. […] sonst nicht sonderlich fürs Arrangieren [ist]“. (Sp. 659) Heimisches Musizieren aus einem arrangierten Klavierauszug ist zeitgenössisch äußerst beliebt und für Musikverlage ein lukratives Geschäft. Dass Marketingarbeit, der in diesem Fall mehrere Absätze gewidmet werden, über den persönlichen Interessen des jungen und unter Geldnot leidenden Hoffmann stehen, wird hier besonders deutlich. Macht dies aber die lobenden Worte über den Meister weniger authentisch?

© Kulturproleten

[1] [Anonym]: Recension, in: Allgemeine musikalische Zeitung, Leipzig 4./11. Juli 1810, Sp. 658. Das Notenzitat ist der Original-Ausgabe entnommen. Alle weiteren Textzitate sind im Text durch die entsprechende Spaltenangabe zitiert. Die Rezension erstreckt sich von Sp. 630-642 (4. Juli) und 652-659 (11. Juli 1810).

[2] Die (Leipziger) Allgemeine musikalische Zeitung wird 1798 gegründet und wird zur maßgebenden Musikzeitung, die internationale Anerkennung genießt. Durch die Besprechungen werden erste Akzente des Musikjournalismus gesetzt. Vgl. Imogen Fellinger: Art. Zeitschriften, in: MGG-Online. MGG Online – Zeitschriften (mgg-online.com) [15.03.2021]. Hoffmann publiziert in diesem Organ 29 Rezensionen, darunter fünf Beethoven Besprechungen. Insgesamt schreibt er Rezensionen zu verschiedenen Gattungs- und Themenbereichen, die heute vielfältige Einblicke in das zeitgenössische Musikleben geben. Vgl. für Umfang, Publikationszeitpunkt und Anlage die Analyse Peter Schnaus: E.T.A. Hoffmann als Beethoven-Rezensent der Allgemeinen Musikalischen Zeitung. München und Salzburg 1977, S. 43.

[3] Sigrid Nieberle: Art. Stimme/Instrument/Instrumentalmusik, in: Christine Lubkoll, Harald Neumeyer (Hg.): E.T.A. Hoffmann Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, S. 401.

[4] Neben seiner Tätigkeit als Rezensent schreibt er auch theoretisch-ästhetische Texte (manchmal mit fließenden Übergängen zu den Rezensionen) sowie Libretti für Opern und Singspiele. Vgl. Christine Lubkoll, Harald Neumeyer (Hg.): E.T.A. Hoffmann Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, S. 212-223.

[5] Vgl. für intermediale Ansätze bei Hoffmann: Ricarda Schmidt: Wenn mehrere Künste im Spiel sind. Intermedialität bei E.T.A. Hoffmann. Göttingen 2006.

[6] Die Rezension ist Werk- und nicht Aufführungsbezogen.

[7] Schnaus: E.T.A. Hoffmann als Beethoven-Rezensent der Allgemeinen Musikalischen Zeitung, S. 19.

[8] Ebd. S. 53.

[9] Dass ein Musikverlag auch eine Zeitung herausgibt, ist in dieser frühen Phase des „Musikjournalismus“ kein Einzelfall. Das von Breitkopf und Härtel entwickelte Erfolgsmodell wird bald auch von anderen Musikverlagen übernommen. Dazu zählen als prominente Beispiele die Signale für die musikalische Welt (Signale) und Neue Zeitschrift für Musik (NZfM), die durch ihre Verlagsnähe ähnlich strukturiert sind, sich aber an anders gelagertes (Fach-)Publikum richten. Neben der generellen Verortung in verschiedenen musikalischen „Lagern“ dienen diese Zeitungen zur Information über das zeitgenössische Musikgeschehen und auch zu direkten und indirekten Werbezwecken für die jeweiligen Verlage.

Anna Maria Plischka
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