Bukowski und Beethoven – Künstler unter sich

12. April 2021 - 2021 / Kulturproleten meets Beethoven

Das gebeutelte und getriebene Genie,[1] das trotz fortschreitender Taubheit weiterhin seine größten Werke vollbringt, trifft auf den rastlosen Alkoholiker, dessen Werk zwar rezipiert, aber erst spät Anerkennung für seine Qualität findet. Bukowski begreift Beethoven in seinen Gedichten als Verkörperung jener anti-bürgerlichen Gegenfigur, die in der Kreativität den subversiven Ausweg aus der Gesellschaft findet.

„I heard it first while screwing a blonde / who had the biggest box in / Scranton.”[2]
It“, das meint Beethovens 5. Sinfonie, die Charles Bukowskis Gedicht (1920-1994) auch ihren Titel leiht. Doch warum schreibt gerade ein Autor, der als „an amusing beer-fart who wrote romans à clef about his booze-soaked life“[3] gilt und für seine Texte explizite Stoffe des alltäglichen Arbeiter:innenlebens vorzieht, gerade über einen Komponisten der Hochkultur? Während die Beat-Generation in den Nachkriegsjahren im Zeichen des Jazz schrieb, zog Bukowski Beethoven und andere klassische Komponisten vor. Was für die Beats das „jazz idiom“[4] war, sollte für Bukowski die klassische Musik sein. Die Symphonien sind Soundtrack und akustische Kulisse für „graphically explicit poetry and prose depicting rundown neighborhoods of Los Angeles populated by a dramatis personae made up of the disaffected underclass, the unemployed, minimum-pay blue collar workers, prostitutes, and drunks destined for skid-row”.[5] Nicht selten wird Bukowski klischeehaft als literarischer Outsider gelesen, dessen Chauvinismus und Alkoholismus sich halbherzig hinter seiner Figur Henry Chinaski, kurz: Hank, verstecken und doch schon längst den Hauptteil von Bukowskis Image angenommen haben. Er ist der getriebene Künstler, der Alkoholiker und Frauenheld, der Underdog. Er ist aber auch der Literat, den man gern als seinen Lieblingsautor angibt, ohne je etwas von ihm gelesen zu haben.

Und damit hat er mit Beethoven mehr gemeinsam als zunächst gedacht. Auch „the Bee“, wie Bukowski ihn fast liebevoll nennt, lebt durch den Mythos. Harry Goldschmidt spricht von einer „Konfliktbiografie”[6], während Klaus Kropfinger Beethovens jugendliche Persönlichkeit mit den Stichworten „Melancholie, Einsamkeit, Bizarrheit“ zusammenfasst.[7] Mit anderen Worten ist er das getriebene Genie als das sich auch wahlweise Bukowski oder Henri Chinaski oder das lyrische Subjekt identifiziert. So wird Beethoven z.B. in Beethoven Conducted His Last Symphony While Deaf als einziger namentlich genannt und neben die großen Namen wie Vincent van Gogh, Federico García Lorcas und deren Mythen gestellt,[8] oder in Beasts Bounding Through Time „with a horn stuck into his head against deafness“[9] beschrieben, wo die „impossibility of being human“[10] derweilen auch an van Gogh, Hemingway, Faulkner, Burroughs, Dostojewski, Shakespeare und diversen Weiteren ausexemplifiziert wird. Und genau dort ist es auch nur das kleine Wort „us“, das Bukowski von der Gemeinschaft der „punks“, „cowards“, „champions“ und „mad dogs of glory“ im vorletzten Vers trennt.[11] Genius und Künstlerschaft sind zugleich Alleinstellungsmerkmal wie gemeinschaftsbildend. Künstlersubjekt und Künstlersubjekt treffen sich auf einer Ebene.

Liebe ist nur romantisch, wenn sie unerfüllt bleibt.
Bukowskis Note upon the love letters of Beethoven (1984)

© Jana Bernhardt u. Nuria Mertens

In Note upon the love letters of Beethoven nimmt Bukowski nicht nur Bezug auf dessen Musik, sondern auch auf eine literarische Dimension seines Schaffens. Das lässt sich bereits im Wortspiel „note erkennen, wodurch eine Brücke zwischen der geschriebenen Notiz (engl. note) und der musikalischen Note geschlagen wird. Die Referenz zu den love letters“ verweist auf die Figur Beethoven abseits seiner Kompositionen, nämlich auf seinen Brief an die Unsterbliche Geliebte (1812).[12] Der „Ludwig”, auf den sich das Gedicht bezieht, ist demnach mehr als seine Musik, jedoch weniger als eine reale Person. Das Gedankenspiel („think:“) imaginiert einen Beethoven in Bukowski’scher Zeit, der in einem roten Sportwagen über die Boulevards von Los Angeles kurvt und „all these mad / hard cases” an sich nimmt. Er skizziert einen Frauenhelden, der sich mit Statussymbolen ausgestattet Frauen nähert, deren Erwähnung als cases sie nicht zuletzt zu Objekten der Begierde degradiert. Sie sind keinesfalls eigenständige Subjekte, sondern nur unzurechnungsfähige Einzelfälle, die zudem nicht in der Lage sind, die Liebe zu vermitteln nach der Beethoven vergeblich sucht („and he’d still never / ever find his / Beloved”). Das einzige Mittel aus dieser Ausweglosigkeit eröffnet sich stattdessen in der Musik. Das Künstlersubjekt ist durch die Entfremdung, die es bezogen auf die reale Welt erfährt, hin zur Kunst getrieben. Und diese wird im Gedicht wieder mit Beethoven verknüpft, eben mit seiner bekannten Liebesnotiz. Verbunden durch „and“ und eine musikalisch anmutende Annotation, die einer Ligatur gleicht, wird die „music like we / never heard before“ zum Bindeglied zwischen der rastlosen Suche nach „his Beloved“ und den Frauenobjekten, mit denen nichts anzufangen ist. Wie eine logische Konsequenz folgt die Musikproduktion des Künstlersubjekts aus der unerfüllten Liebe, führt jedoch auch nicht zum gewünschten Ziel, der Geliebten. Das Niemals ist in der quantitativen Überzahl und wird zudem durch seinen antithetischen Gegenpart „ever“ bestärkt, anstatt geschwächt. Never ist schon schlimm genug, aber „never / ever“ ist dessen Superlativ. Die musikalische Innovation folgt somit zwangsläufig aus der persönlichen Utopie und ist ein Resultat aus der – wortwörtlich – verfahrenen Situation des Künstlers. Ein Künstlersubjekt nutzt das Werk des Verstorbenen als eine Art Identifikation in einer entfremdeten, ihn nicht verstehenden Welt.

Zusammen ist man weniger allein
Bukowskis Friends Within The Darkness (1986)

„[P]iss on them” – „them“, das sind die Anderen, die im Gedicht dem „I gegenüberstehen. Dieses „I befindet sich in Gegenüberstellung zur Außenwelt, von der es sich ausgeschlossen fühlt. Wieder wird in diesem Gedicht ein Bild vom Klischee des getriebenen Künstlersubjekts präsentiert, das entrückt im Kapitalismus verzweifelt. Es entfremdet sich vom objektiviert wahrgenommenen Außen. Versuche der Eingliederung („trying to connect) schlagen fehl. Deswegen bleibt dem „I nichts als die Abgrenzung vom Außen: „shades pulled down / […] there was no alternative except to hide.“

© Jana Bernhardt u. Nuria Mertens

Die Gegenüberstellung von Innen- und Außenwelt wird zum einen durch den Inhalt des Gedichts unterstrichen und spiegelt sich zum anderen in seiner Struktur wider: Das Außen ist vom Innen eingekesselt (siehe Skizze) die Isolation steht sowohl am Anfang (als „young man“) als auch am Ende des Gedichts („[…] rattling the walls / that close us in”). Trotz des Gefühls der Ausgegrenztheit – oder vielleicht noch dazu – muss der Dienst für die Gesellschaft erbracht werden („now I work for the editors the readers the / critics”). Dem Künstlersubjekt bleibt keine andere Wahl als in der Maschinerie des Kapitalismus mitzuwirken und Teil der anonymen („monotonous) Welt zu sein. Angesichts dessen präsentiert sich der Rückzug ins Innere als einzige Lösung. Der Broterwerb, also die Arbeit „for the editors the readers the / critics” – sprich: Autorschaft – ist der Ausweg aus den „low-paying and / monotonous / jobs“, zu denen die Isolationsepisode ihn schlussendlich zwingt, und ermöglicht erneute Trinkkumpanenschaft mit den alten Komponisten: „but still hang around and drink with / Mozart, Bach, Brahms and the / Bee“. Diese Künstlersubjekte sind an die Flucht ins Innere des Künstlersubjekts im Gedicht gebunden, an den „small room in a strange city“ und die „rattling […] walls / that close us in“. Sie fungieren als individualistische Gegner der gesichtslosen, äußeren Einheitsgesellschaft und haben das System der Gleichheit durchbrochen. Durch ihren historischen Status haben sie wortwörtlich Rang und Namen inne und stehen im Kontrast zur äußeren Monotonie und verkörpern eine persönliche Nähe. Sie sind lebendiger als die sinnlos wirkenden Lebendigen der Außenwelt („men without eyes men without faces”). Das unverstandene ausgegrenzte Künstlergenie findet seine Kumpanen in der klassischen Musik. Beethoven kommt eine besondere Rolle innerhalb der Klassiker-Gang zu, denn ihm gilt der Kosename „the Bee. Das ausgegrenzte „I” gliedert sich in die Reihe der Künstlergenies ein, es ist Teil von ihnen: „some buddies / some men” und diese anaphorische Struktur wird zusammen mit „sometime” vervollständigt und lässt die Gleichsetzung und den Einklang innerhalb der Künstlergruppe hervortreten. Künstlersubjekte bleiben halt gern unter sich.

© Kulturproleten


[1] No gender sensibility necessary.

[2] Bukowski, Charles: Bee’s 5th. In: Love is a Dog from Hell. 1974. S. 55.

[3] Joel Lewis: „‚A Three-Point Shot From Andromeda‘: Old and New Dreams in the American Poetry Underground“. In: The American Poetry Review 23 (1994), H. 3, S. 37-43, hier S. 38.

[4] Nick Selby: „Riffing on Catullus. Robert Creeley’s poetics of Adultery“. In: Sheila Murnaghan, Ralph Mark Rosen (Hg.): Hip sublime. Beat writers and the classical tradition. Columbus: The Ohio State University Press 2018, S. 116-137, hier S. 118.

[5] Steven Brie: „Watching The Wall’s Dance: Charles Bukowski’s Musical Landscape“ (Januar 2012). In: Magazine Americana. The American Popular Culture Magazine. https://www.americanpopularculture.com/archive/music/bukowski.htm (Stand: 11.08.2020)).

[6] Harry Goldschmidt: „Aspekte gegenwärtiger Beethoven-Forschung. Biographie“. In: Harry Goldschmidt (Hg.): Zu Beethoven. Aufsätze und Dokumente. 3 Bde., Bd. 1. Berlin: Verlag Neue Musik 1979.

[7] Vgl. Klaus Kropfinger: „Beethoven, Ludwig van“ (1999). https://www.mgg-online.com/article?id=mgg01218&v=1.0&rs=id-000ae63a-e8a1-3477-5086-b209bf443136&q=beethoven (Stand: 10.08.2020).

[8] Vgl. Bukowski: „Beethoven Conducted His Last Symphony While Totally Deaf“.

[9] Bukowski: „Beasts Bounding Through Time“.

[10] Ebd.

[11] Vgl. ebd.

[12] https://de.wikipedia.org/wiki/Unsterbliche_Geliebte

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