Album ohne Konzept – Stuckrad-Barre feat. Fauser I

1. März 2021 - 2021 / soziotext / texttext

Benjamin Stuckrad-Barres Soloalbum (1998) und Jörg Fausers Rohstoff (1984). Der eine Autor für die poppige Trivialität gründlich gefeiert, der andere ebenso gründlich aus dem Literatenstand hinausqualifiziert. Zweimal Pop, viel Subkultur, viel Wut, Hass und Drogen – aber doch auf unterschiedlicher Grundlage und mit unterschiedlichem Ausgang. Eine kritische Maxi-EP in zwei Teilen, aber einseitig, ohne A und B.

Anti Alles Aktion – Soloalbum

Es ist tatsächlich ein Soloalbum: So radikal selbstbezüglich, so enorm egozentrisch, regelrecht egoman ist hier alles, dass man wohl nach Lektüre ebenso wie der IchIchIch-Erzähler zur Rettung aus der ermatteten Enttäuschung ein 15-köpfiges Expertenteam benötigt, um selbst einmal wieder „Ich“ sagen oder lesen zu wollen. So „lonely & so unaufregend ist alles“, aber so richtig Gesellschaftsbezug und Spannung mag auch nicht aufkommen durch die willkürliche Aneinanderreihung von Party-Exzessen und kecker Weltkommentierung. Das Problem der Belanglosigkeit von Handlung und Stationen im Leben dieses hypermodernen Taugenichts ist in der Diskussion um ereignislose Schreibschultagebuchprosa an anderen Beispielen mit gleichgeltenden Erkenntnissen diskutiert worden, und möglicherweise, mag man Panikherz (2016) glauben, wohl auch auf den Entstehungskontext und Schreibprozess mal kurz so nebenbei zurückzuführen. Das Problem der rigorosen Aburteilung von allerlei Alltagsdingen und -personen ist wiederum ein anderes und kann auf den kritischen Dilettantismus des Erzählers, der zunächst als Musikrezensent werkelt, zurückgedacht werden. Es ist leider nicht die Aufgabe von Kulturkritik, Dinge bequem „irgendwie zu finden (gelungen oder enttäuschend, aufregend oder belanglos – ziemlich beliebig und unkontrollierbar, dieser Teil der Arbeit).“

Der Verweis auf das übliche Missverständnis von Kulturjournalismus, der mitunter sicher gern so betrieben wird, ist nun nicht wirklich aufregender als die diversen ästhetischen Reflexionen und Standpunkte im Soloalbum. Interessanter schon, dass es diese indifferente Grundeinstellung, weiterentwickelt zur konsequenten Kontrafaktur von Responsivität ist, die der Erzähler in seinem Pubertierenden-Existentialismus an die Welt trägt – und die ihm schließlich die allerlei Problemchen verschafft, an denen er so krankt. Dass er, der so ziemlich alles in Relation zu seinem Ich taxiert, sicher auch einmal mit einem seiner wortreichen Suaden das Richtige mit den richtigen Worten trifft, ist dabei schlicht Resultat von Textmasse und Wahrscheinlichkeitsrechnung in Verbindung mit grundlegenden handwerklichen Verfahren der Gagschreiberei: Karikatur, Übertreibung, Pointierung. In diesem Feuerwerk der GagsGagsGags bemerkt man schnell, dass es sich hier in keiner Weise um konstruktives Verlachen, sondern eher um recht dumpfes und allgemeines Auslachen handelt – die Witzfigur bleibt dem Erzähler der Andere, er selbst wird eben dadurch auch eine, fertig ist die allseitige Ironie. Und dabei bleiben der Roman und viele epigonische Texte lang dann auch stehen, denn es funktioniert ja, ganz offensichtlich. Und das Feuilleton lässt sich des ungeachtet gern Geschichten erzählen aus großstädtischer Szene, von den Leuten, wie sie sind, hier und heute, szenig, so kaputt, pessimistisch, fatalistisch und oberflächlich, selbstfüllende Identifikationsangebote. Hauptsache, eine humorvolle Auflistung ist dabei – schrill!

Freilich eignet der vollkommen unkritischen Stereotypisierung, des oftmals Banalen zudem, und ihrer hasserfüllten Affirmation in der Übertreibung eine subversive Komponente. Um diese zu erkennen als Unterminierung von irgendwie oberflächlichem Zeitgeist – und irgendwie bestimmt auch gesellschaftskritisch gemeint –, muss man sich aber ziemlich hineinwinden in die intellektuellen Winkelzüge darauf angelegter Interpretationsangebote und eine überaus akademische Distanz zum doch eigentlich Populären einnehmen. Windet man sich dann einige Gedankengänge weiter, kommt man für Soloalbum wiederum zum Faserland-Problem: Der Hinweis allein, dass es sich mit diversen Haltungsschäden und ‚gnadenloser‘, pragmatischer weil unumgänglicher selbstbezüglicher Oberflächlichkeit als einzigem Grundsatz nur schwer leben lässt, hat kein wesentlich kritisches, sondern allenfalls zynisches Potential. Unter den doppelten Böden und auch durch die dreifache Optik der Ironisierung hindurch bleiben also: vor allem weitere Gehaltlosigkeit und dann doch wieder Affirmation als interpretative Anti-Pointe des neuen Pop. Weil ich – oweh, da ist das böse Wort – aber keine Lust habe, jetzt schon mit dem Remastering eigener Gedanken anzufangen, wird jetzt fröhlich remixend gefeatured und in die Mottenkiste des Prä-90er-Pop gegriffen. Und, siehe, großes Hallo: Jörg Fauser, Rohstoff, na so ein Zufall! Wenn verrückt ist, wer „in Deutschland das Wort erhebt und Jörg Fauser nicht gelesen hat“, tut man freilich gut daran, ihn zu loben. Lesen wir ihn aber erstmal.

Bildungsbürgerproll – Rohstoff

Fausers Harry Gelb ist dem Ich des Soloalbums in mancherlei Hinsicht ähnlich: junger Mann in den 20ern auf der Suche nach einer Position in einer Welt der Oberflächen und Phrasen nach dem Zusammenbruch großer Ideen, auch wenn Jahreszahlen und das Personal etwas anders sind. „Wir näherten uns rapide der Saison in der Hölle“, die „ersten Weihen des Acid-Zeitalters“ sind empfangen, und wir beobachten, wie die Chiffre 1968 sich in rauschenden Individualismus auflöst. Was der Rausch von der Politik übrig lässt, sind der harte Kern der Revolutionsromantiker, der Ausverkauf der Gegenkultur, Ex-Maoisten auf der Zielgeraden ins mittelständische Reihenhaus und ein rastloser Harry Gelb, der außen- und dadurch mittendrinstehende Korrespondent aus dem Leben in der ersten ‚Postideologie‘. Aber Fauser gibt seinem Erzähler etwas Entscheidendes mit: eine Idee, ein Ziel, ein theoretisches wie pragmatisches Fundament. Es ist der vehemente Drang, Schriftsteller zu sein, zu schreiben, der Harry Gelb zwischen allen leichten und verlockenden Auswegen, Abgründen und Ausreden der neuen Zeit mitunter buchstäblich überleben lässt.

Auch Fausers vermeintliche Abrechnung mit ‚den‘ 68ern hat ihre Stereotype. Doch sind es hier eben nicht gagtaugliche Klischees von, haha, Langzeitstudenten, Ökos, schmerbäuchigen Mittelstandsspießern und Co. Sie sind vielmehr Resultate einer überaus gewissenhaften Tätigkeit in der schriftstellerischen Branche, die Fauser an anderer Stelle als „Agentur für Sprache und Zweifel“ bezeichnet. Was seine Stereotypisierung im Zeichen des Zweifelns auszeichnet, ist ihre Differenzierung. Sie dient nicht (nur) der Pointe, sondern der genauen Bestandsaufnahme und ist damit Mittel zum Zweck, um zu verstehen, warum der hoffnungsvolle Aufbruch so überaus schief gehen und in eine im Wesentlichen entpolitisierte Zeit münden konnte. Die Typisierungen Fausers, die Auflistungen der Beobachtungen Gelbs, sind nicht gehässig:

Dealer mit wallenden Haaren und einer Mao-Plakette an ihrem indischen Hemd, Catchertypen mit Ohrringen und Moschusduft, ätherische Grazien aus Siemensstadt oder Neheim-Hüsten, die ihre Friseurlehre mit freier Liebe oder einer Bombe vertauschen wollten und stattdessen in einer Kreuzberger Kellerwohnung mit einer rostigen Kanüle im Arm aufwachten, futuristische Politkommissare mit weißen Nyltesthemden und den Gesammelten Werken Enver Hodschas und kompletten Erschießungslisten im Kopf, und Straßenkids auf der Suche nach ihrem ersten Flash […] und die Doors versuchten, dem Kind einen Namen zu geben: ‚Father, I want to kill you.‘

Und Gelbs Sensorium für die Veränderungen in diesem, seinem Umfeld sind exakt. Übrig bleiben

die schon leicht ergrauten Ostermaschierer, die Reste des traditionellen SDS, die alten Maulwürfe aus den Grauzonen des linken Spektrums, die sich jetzt mal wieder durch den fetten Boden der SPD buddelten […] eingekeilt zwischen anarchistischen Hilfswachmännern mit dem Apfelweinblues, grölenden Rollkommandos aus den Asozialensiedlungen und gestandenen altkommunistischen Biertrinkern auf dem Trip durch ihre zweite Jugend, gewiss nicht verlockend.

Für Gelb ist seine Umwelt nicht Bühne zur Selbstdarstellung, Spiegel und Rahmen für kleingeistigen Hedonismus. Sie ist Material, Rohstoff eben, um Verstehen zu können, was und warum passiert, und deshalb, wie die Figuren, die seine Textur ausmachen, respektvoll zu behandeln. Anhand differenzierter Stereotype erfolgt (politische) Kritik hier nicht als vulgär-nihilistische Disqualifizierung von Witzfiguren, sondern als implizite Einforderung von moralischer Integrität, praktischer Konsequenz und theoretischer Qualität – sonst bleiben vom Aufbegehren nur Rausch, Phrasen und Selbstzerstörung. Revolution ist damit vorerst nicht zu machen. Aber Text.

Dabei ist das Ziel der Schriftstellerwerdung für Gelb zunächst weniger eine Frage nach dem Wie literarischer Verfahren, sondern nach dem Wie ökonomischer Notwendigkeiten und verweist damit scheinbar beiläufig auf das Problem, dass Kunstproduktion in keiner Weise eine egalitäre Arbeitsform und Kulturbetrieb eben auch Kulturbetriebswirtschaft ist. Aber Geld und akademische Ausbildung sind das eine. Vieles vom Anderen ist Integrität, Konsequenz, Qualität – schreibende Produktivität als Möglichkeit des Leben-Bestreitens (auch) über das Ökonomische hinaus. Harry Gelb schreibt nicht nur, um zu leben, sondern schreibt um zu leben um zu schreiben, immer einen Schritt weiter, ad infinitum und bis die neue Literatur geschaffen ist. Und wenn es damit und dem Schriftsteller-Dasein erst einmal nicht klappt, weil man keine Kontakte und Zufälle hat, muss es notfalls zunächst das Schreiber-Sein tun, wenn es nur irgendwie geht. Ironische Doppelbödigkeit ist keine Option, wenn man so handfeste Ziele verfolgt und nicht im Immer-Weiter-Wurschteln selbstbezüglich glücklich auf der Stelle treten will. Dass es klappen kann, zeigt Rohstoff, denn immerhin: Wir lesen von Harry Gelbs Schreibversuchen, seinen Misserfolgen, seinen Depressionen und Rückfällen einen hervorragenden Roman.

Wer wird nicht einen Fauser loben – nur ersetzt das Lob eben nicht die (kritische) Lektüre. Mit nicht mehr als Liebeskummer, Frust-Berauschung am eigenen Ich, Machen-Doch-Eh-Alle-Zynismus und ein paar Pop-Songs im Kopf und als Fundament des Schreibens wird die Textproduktion schwierig, wenn auch nicht in ökonomischer Perspektive, das regelt der Hype. Gehaltvolle Trivialität poppt aber anders – nicht mit in sich selbst stagnierender Oberflächlichkeit, sondern durch den theoretischen Unterbau einer mehr als michmichmich selbst verstehen- und erklären-wollenden Haltung zur Welt, die dem Schreiben Fundament und Legitimation gibt. Das ist die eigentliche Qualität guter Texte aus vermeintlichem ‚Milieu‘, ‚Szene‘ und Prekariat, nicht ihre den Voyeurismus der Mittelstände sättigenden ‚Abgründe‘. Die sind alltäglich – und erst mit der richtigen Haltung lesens-, schreibenswert.

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