Reden lernen, wenn die Welt zu viel abverlangt – Ein Treffen mit dem Männerforum Münster
30. Januar 2017 - 2017 / Maskulin*identität_en / soziotext
Boys don’t cry, sangen The Cure schon 1984, und wenn sie es doch tun, dann nur heimlich, wusste Herbert Grönemeyer in „Männer“ 1995. Denn es gibt eben Dinge – Achtung, Klischeefalle – die macht ein Mann nicht, Dinge, die ‚typisch Frau‘ sind. Weinen gehört dazu, aber auch Reden, insbesondere über Gefühle und Sorgen.
Dass dem nicht so ist, zeigen Organisationen wie das Münsteraner Männerforum. Hier treffen sich Männer, die das Bedürfnis haben, zu reden – und zwar privat, persönlich und intim. Das Münsteraner Männerforum setzt sich bereits seit 20 Jahren dafür ein, ein Ort der Orientierung und des Austauschs zu sein, ein Ort der Sinn-, der Identitätssuche vielleicht auch. Es gibt regelmäßige Gesprächsrunden wie das Männerfrühstück, aber auch Vorträge mit eingeladenen Gästen – meist sprechen Experten zu bestimmten Themen -, sowie den jährlich stattfindenden, bundesweiten Männertag.
Reinhard und Uwe sind im Vorstand des Männerforums – ehrenamtlich und unentgeltlich – und sie sind Mitglieder einer Männergruppe. Davon gibt es viele in Münster, sagen sie. Es sind kleinere Subgruppierungen, in denen sicher Männer regelmäßig zu Gesprächsrunden treffen. Die Idee des Männerforums war, sie miteinander zu vernetzen.
„Die meisten Männer, die zu uns kommen, sind so Mitte/Ende dreißig“, erzählen Uwe und Reinhard, „sie haben ihre Ziele in Beruf und Familie erreicht und sind an einem bestimmten Punkt in ihrem Leben angekommen, an dem sie das Bedürfnis haben, ‚über den Tellerrand des Alltags hinauszuschauen‘.“
Identitätssuche unter Fremden
Zwar treffen sich in diesem Kreis vor allem Männer, die dem klassischen privilegierten Schema „heterosexuell und weiß“ entsprechen. Dennoch haben sie – genauso wie auch Frauen, Transgender, x, … – zum Teil Probleme, sich in unserer Welt einzuordnen und bestimmte Rollenbilder, die ihnen von der Gesellschaft zugeschrieben wurden oder werden, auszufüllen. Dazu gehört auch der von Geburt an soziokulturell konstruierte Umgang mit Emotionen (boys don’t cry, etc.).
„Ich verliere mich als Mann. Ich kenne nur noch ‚funktionieren‘: Arbeit, Familie, andere Verpflichtungen. Ich muss einfach mal raus.“
Es sind solche und ähnliche Sätze, die Uwe und Reinhard und auch die anderen Teilnehmer bei ihren Treffen hören. Erwartungsdruck, Selbstzweifel, steigende Ansprüche an sich selbst, Umwälzungen im Arbeitsbereich, turbulente politische Zeiten, eine prinzipielle Offenheit des eigenen Lebenslaufs … – der gesellschaftliche Druck nimmt zu und wirkt auf jede_n einzelne_n ein.
What happens in the Männerrunde, stays in the Männerrunde
Es gibt Männer, denen fällt es schwer, mit ihrem sozialen Umfeld über Dinge zu reden, die sie innerlich beschäftigen. Dies wiederum mit Menschen zu teilen, die man gar nicht kennt, erscheint manchmal leichter. So ist es auch im Männerforum: „Obwohl man sich nicht kennt, ist die Atmosphäre relativ schnell offen und locker. Teilweise hört man Dinge, die vorher noch nie jemand anderem erzählt wurden.“ Dieses hohe Maß an Offenheit verlangt im Gegenzug natürlich Vertrauen und Verschwiegenheit. Die Gespräche sind nicht zu vergleichen mit Bierchentrinken oder einem Fußballabend mit Freunden. Die Runden im Männerforum hätten eine ganz andere Qualität, eine andere Tiefe, sagen Reinhard und Uwe. Verstehen kann das vermutlich nur, wer es selbst erlebt hat.
Dabei arbeitet das Männerforum zum Teil mit der Grundstruktur der MRT-Methode. MRT ist die Abkürzung für Männer-Radikale-Therapie, wobei ‚radikal‘ nicht für rücksichtslos und brutal steht, sondern niederländisch für ‚an die Wurzeln gehen‘, insbesondere emotional. Gesprächsrunden beginnen dann immer mit dem Berichten positiver Geschehnisse der vergangenen Tage oder Wochen. Denn „es sind immer Leute dabei, die viel reden und solche, die eher schüchtern sind“, sagt Reinhard, „da ist es für den Anfang wichtig, nach immer derselben Methode vorzugehen, damit jeder die Möglichkeit und die Zeit bekommt, sich einzubringen.“ Zu sehr ins Therapeutische sollen die Treffen aber nicht gehen, versichert Uwe.
Danach geht es um unangenehmere Themen und ums Zuhören, Mut machen und unterstützen. „Wir treffen im Männerforum manchmal die Abmachung, dass man mehrmals in der Woche miteinander telefoniert“, erzählt Reinhard, „wenn ein Mitglied sich zum Beispiel vorgenommen hat, sich bei der Arbeit anders zu verhalten, dann fragt man einfach nach: Hat dein Vorhaben geklappt? Zum einen ist dann der Druck ein bisschen größer, es wirklich umzusetzen, und zum anderen merkt die Person, dass sie in dem, was sie tut, nicht alleine ist.“
Keine Frauen
Das Männerforum ist allein und ausschließlich für Männer und ihre Anliegen da. Frauen sind nicht erwünscht und das hat Gründe, wie Uwe erklärt: „Wir hatten anfangs auch das ein oder andere Mal gemischte Diskussionsrunden, weil das Thema natürlich auch viele Frauen interessiert. Dann haben wir aber entschieden, es bei reinen Männergruppen zu belassen, weil das Diskussionsklima einfach ein anderes ist. Wir haben gemerkt, dass intime Themen, ganz anders angegangen werden, wenn keine Frauen dabei sind. Und wir sind immer wieder überrascht, wie schnell Männer plötzlich sehr intensiv über sich selbst und über innere Themen sprechen können, wenn sie unter sich sind.“
Was mir als Frau dabei nicht so recht einleuchten will, ist, dass solche Gespräche unter heterogenen Gruppen nicht auch möglich sein sollen, bin ich selbst doch der Meinung, sie in meinem gemischten Freundeskreis jederzeit erfahren zu können. Uwe versucht zu erklären: „Wir hatten vor einigen Jahren eine Veranstaltung am Philosophischen Seminar, da sagte einer: ‚Über Probleme kann ich mit meiner Kollegin hier genauso gut reden!‘ Wir hören das öfter. Und manche tauschen sich natürlich lieber oder auch mit Frauen aus, aber das entgegengebrachte Verständnis ist auf einem anderen Level angesiedelt, was auch auf gleichen oder ähnlichen Erfahrungen beruht, die Männer gemacht haben. Wir hören aber eben auch oft von Männern, die im Beruf stehen, dass es das kaum gibt, sich auf diese Art und Weise mit Männern auszutauschen. Da steht eher das Rivalisierende oder Profilierende im Vordergrund. Da macht man den Schritt zum Persönlichen nicht, was oftmals einem Sich-„Outen“ oder einem Sich-Bloßstellen gleichkäme.“ Und genau hier ist das Männerforum anders. Es will vor allem einen geschützten Rahmen bieten, „frei von Konkurrenzdenken, Vorwürfen, Bewertungen, Unterstellungen oder Anspruchsdenken, …“. Dabei hilft auch, dass ein Teil der Teilnehmer sich schon über viele Jahre kennt und neue Männer offen in den Kreis aufnimmt.
Die großen Themen
Es sind vor allem Themen aus dem Bereich Beziehung und Familie, Arbeit und Gesundheit, die die Männer umtreiben. Die beiden Vorstandsmitglieder nennen ein paar Beispiele:
- Ein 62-Jähriger kommt regelmäßig zum Männerforum. Nach einem Karzinom wurde bei ihm die Prostata entfernt. Die Folgen sind nicht nur Inkontinenz, Erektionsprobleme und Fragen um die Sexualität, sondern auch dass er sein Mann-Sein als „erheblich beeinträchtigt“ empfindet. Wie soll er im Alltag damit umgehen, wie in der Partnerschaft?
- Ein 34-jähriger, verheirateter Vater von zwei Kindern fühlt sich zerrissen zwischen seiner Familie, in die er stark und gerne eingebunden ist und seinem Beruf, in dem er erfolgreich und engagiert ist. Er fühlt sich ausgelaugt, verloren und einsam. Es tauchen Fragen bei ihm auf: Wo bin ich als Mann? Bin ich nur noch reduziert darauf, Vater und Versorger zu sein?
- Ein 55-jähriger Abteilungsleiter bei einer Bank wird seit einiger Zeit von seinen Vorgesetzten offen gemobbt. Ihm wird nahegelegt, eine „schlechtere“ Stelle, eine Abfindung oder die frühere Verrentung anzunehmen. Ohnmacht, Enttäuschung und Frustration sind das Resultat.
…und eine Motivation mit anderen darüber reden zu wollen.
Dad at home: Vaterschaft und Erziehungszeit
Uwe hat auf der Suche nach Orientierung und Austausch eigene Erfahrungen gemacht: Als junger, 30-jähriger, Vater nahm er sich für sein erstes Kind Erziehungszeit, kam aus dem Rheinland frisch nach Münster und versuchte, sich mit der in mehrfacher Weise neuen Situation zurechtzufinden: „Ich war regelmäßig mit meinem Kind in der Kleinkindergruppe, wo die meisten Teilnehmenden natürlich Mütter waren. Die Themen, über die sie sich austauschten, waren zum Beispiel schwere Geburten, Stillen, usw. und ich habe einfach gemerkt, dass das sehr intime Themen sind und ich da als Mann nicht mitreden kann.“ Bei dem Versuch eine Gruppe für Väter zu finden, war Uwe zunächst überrascht, denn es gab tatsächlich in vielen Bildungseinrichtungen Angebote für Väter. Dann allerdings die Ernüchterung: Bis auf ein einziges fand keines dieser Angebote statt.
Heutzutage ist das glücklicherweise anders: Neben Müttergruppen gibt es mittlerweile auch viele Vätergruppen – in Münster nicht zuletzt auch durch die Initiative des Männerforums, gemeinsam mit der Caritas und der Kirche. Dieses Jahr setzt das Männer-Netzwerk, das auf Initiative der Stadt Münster zur Europäischen Charta für Gleichstellung von Frauen und Männern entstand, sogar den Schwerpunkt Vaterschaft, zu dem es mehrere Veranstaltungen geben wird.
„Durch die politischen Veränderungen kenne ich viele jüngere Väter aus meinem Arbeitsumfeld, die jetzt ihre drei Monate Elternzeit nehmen. Allerdings muss man sagen, dass das bei den längeren Erziehungszeiten eher mau aussieht“, berichtet Uwe. Warum das so sei, frage ich. „Geld“, lautet die knappe Antwort. Uwe habe es selbst bei seiner zweiten Erziehungszeit erlebt: Der Arbeitgeber machte ihm Druck, seine Situation zu überdenken und möglichst schnell in den Beruf zurückzukommen, da das Arbeitsverhältnis „eher wackelig“ sei. Erstaunlich daran ist, dass Uwes Erfahrungen etwa 20 Jahre zurückliegen, heutige Väter jedoch von ähnlichen Problemen berichten oder zumindest Angst davor haben.
Männ(sch)lichkeit
Emotionen, Ängste und Sorgen sind nicht weniger männlich als sie menschlich sind. Das Reden darüber hilft, sie sich bewusst zu machen und kann so schon der erste Schritt sein, besser mit ihnen klarzukommen. Angebote wie das Männerforum unterstützen nicht nur die betroffenen Männer und helfen indirekt ihrem Umfeld, sondern sie wirken letztlich auch dem geläufigen Klischeedenken entgegen.
Doch stellt sich für mich am Ende immer noch die Frage, ob durch den geschützten Rahmen des Männerforums nicht auch eine Art Abschottung stattfindet. Könnte man nicht versuchen, das, was das Männerforum ist, in einer heterogenen Gruppe zu unternehmen? Auch wenn es ein bisschen mehr Mühe und vielleicht auch mehr Mut kostet, Dinge zu erklären, gerade das ist es doch, was bereichert und zu einem verständnisvolleren Zusammenleben beiträgt. Vorerst ist dies vermutlich noch ein utopischer Gedanke, aber ein schöner.
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