Kill the King, be the King: Sinnkrise und Männlichkeiten in Fargo Staffel 2
23. Januar 2017 - 2017 / bildtext / Maskulin*identität_en / soziotext
I. Auf der Suche nach dem Sinn
Die Suche nach der ‚Wirklichkeit‘ muss sich im soziokulturellen Gefüge als Befragung des Mythos reformulieren. Wahrheit, so die Basisprämisse, ist keine naturgegebene Größe, sondern wird gesellschaftlich ständig neu verhandelt und erzählt. Die Wirklichkeiten in denen wir leben erweisen sich als hochdynamische Konstrukte, die permanent in prekäre Spannungsverhältnisse zwischen verschiedenen konkreten Institutionen und abstrakten Ideologien treten. Das ist keine Erfindung des postmodernen Zeitalters; als „Abbreviatur der Erscheinung“1)Nietzsche, Friedrich: Werke. Erster Teil: Die Geburt der Tragödie oder Griechentum und Pessimismus. München/Wien 1981, S. 102. ließe sich feststellen: Die Geschichte der Menschheit ist eine Erzählung, in der Kontingenz und Ambivalenz im Zeichen des Mythos zu Gunsten einer Eindeutigkeit tendenziell aufgehoben werden können. Mittenhinein in diese Betrachtungen stößt die zweite Staffel der US-amerikanischen Serie Fargo. Hier werden – so die These – diverse Sinnangebote unterbreitet, die sich nacheinander als äußerst instabil erweisen und keinen tragfähigen Metacode mehr generieren können. Das gilt vor allem auch für die Konstruktion von Geschlechterrollen, die sich als äußerst variantenreich erweisen; mustergültig konzentriert etwa in der Kontrastierung von Mrs. Solverson als ‚femme fragile‘ und Simone Gerhardt als ‚femme fatale‘ oder der Transformation Dodds vom rebellischen Gangster-Macho („See, the male of the species has got the potential for greatness. Look at your kings of old. Napoleon, Kublai Khan, Samson. Giants made of muscle and steel”. E8, TC 0:51:00) zum gefütterten Kleinkind (E8, TC 0:19:30).
II. Ein Haus auf dem Land, oder…?
„Auf einmal in einem ganzen Wirbel drin von Aventüren. Ach, wie ist es gut, wenn einem der moralische Halt so gänzlich fehlt.“ 2)Reventlow, Franziska zu: Tagebücher 1886 bis 1910. In: Dies.: Sämtliche Werke in sechs Bänden. Hg. von Michael Schardt. 2. Aufl. Hamburg 2010, S. 113.
Auch in der Beziehung des ‚Bonny & Clyde-Pärchens‘ Ed und Peggy wird diese Problematik paradigmatisch durchgespielt. Die Differenzen der beiden Figuren werden plastisch vorgeführt: Ed, ein konservativer, auf soziale Absicherung ausgerichteter Metzger aus Minnesota, hat konkrete Ziele. Er möchte die örtliche Fleischerei übernehmen, seine Partnerin Heiraten, Kinder zeugen und schließlich ein bescheidenes aber glückliches Leben mit seiner Familie verbringen. Er wird semantisiert als ‚Versorger‘; seine ideale Welt hängt eingerahmt über dem Kamin seines Elternhauses, in dem Peggy und er mittlerweile wohnhaft sind. Eine realistische Landschaftsmalerei, eine Weide, ein paar Kühe, ein kleines Bauernhäuschen in der Peripherie – hier scheint die Welt noch in Ordnung und doch stellen wir etwas ernüchtert fest: Menschen sind nicht abgebildet.
Peggy dagegen hat’s satt. Sie würde am liebsten sofort ausziehen, einen Weg einschlagen, der sie sich selbst verwirklichen lässt – und zwar als Frau („just trying to actualize, you know? Be the best me I can be because these are modern times, you know, and a woman – well, she just doesn’t have to be a wife and a mother no more”. E6, TC 0:13:20).
Auch sie ist auf der Suche nach einem sinnvollen Leben, einzig ihre überaus unkonkreten Pläne konkurrieren mit den Wünschen Eds. Das ist umso prekärer, als das Gelingen von Kommunikation in Fargo ohnehin permanent problematisiert wird.
Eine Anlaufstelle findet Peggy bei ‚Lifespring‘, einem 1974 gegründeten kommerziellen New-Age-Kult, der hier ausschließlich von Frauen besucht wird. Die Beziehung zwischen Ed und Peggy wird so erkennbar als die Unterscheidung zwischen patriarchalem Materialismus und einer als dezidiert weiblich konnotierten Hinwendung zum Spirituellen. Da kommt das ko-produzierte Verbrechen für Peggy wie gerufen: „See? We’re moving now. Things are flowing. Not trapped anymore. […] I mean, you got to admit, we were stuck in the mud. Emotionally, I mean. And now, we’re flying” (E8, TC 0:11:50).
In der diskursiven Rahmung einer Ära, für die Ronald Reagan Pate steht, werden beide Sinnstiftungsmodelle lesbar als Bewältigungsstrategien einer komplexen Welt, in der sich Figuren permanent ‚Unsicherheiten‘3)Um diese Unsicherheiten auszustellen, bedient sich die Serie unterschiedlicher Verfahren. Neben den grotesken und existentialistisch aufgeladenen Intertexten um Kafka, Beckett, Camus, usw. ließe sich hier auch das Spiel auf formaler Ebene anführen: „This is a true Story“ heißt es zu Beginn jeder Folge, bis die 9. Episode (Das Schloss) einen allwissenden Erzähler einführt, der die Narration aus einem Buch (The history of TRUE CRIME in the Mid West) erzählt. Durch diese Metaebene problematisiert Fargo das Modalitätsverhältnis und erweist sich insgesamt als unzuverlässig erzählt. Gegen die so thematisierte Komplexität als Unsicherheitsfaktor hilft schließlich auch kein ironisch-verfremdendes, Material gewordenes Sinnzentrum in Form des UFOs oder die an Chatsprache erinnernde Sprachinnovation Hanks. ausgesetzt fühlen – „we’re just out of balance […]. Whole world. Used to know right from wrong“ (E4, TC 0:51:10). Am Beispiel des Paares wird schließlich die Erfahrung einer kontingenten Welt erprobt, in der die Möglichkeiten verschiedener Lebenswege an bestimmte soziale Konventionen gekoppelt sind und permanent für ‚Ordnungsstörungen‘ sorgen. In Fargo werden eben solche Brüche rekurrent vorgeführt, Ordnungen werden immer wieder aufs Neue erschüttert – gerade auch im Hinblick auf die Geschlechtsidentität.
III. Zeichen und Fleisch
Als Markierung dieser diskursiven Differenz von patriarchalem Materialismus und der weiblichen Spiritualität dient in der Serie – neben vielen anderen Aspekten – Fleisch. Fargo führt uns dabei nicht nur die Fleischerei als zentralen Ort der Serie vor, auch an anderen Stellen zeigt die Serie das Verhältnis zwischen Fleisch, Männlichkeit und dem Materialismus auf. So sehen wir bspw. eine Jagdszene zu Beginn von Episode 5, die sich von einer Jagd auf Rehe in eine Jagd auf Menschen – hier Männer – verwandelt. Die Episode wird zum Dreh- und Angelpunkt für die Protagonist_innen: In alternierender Montage zu dieser Jagd sehen wir die Wahlkampfrede Ronald Reagans, der über den amerikanischen Traum und den amerikanischen Gründungsmythos, der „City Upon A Hill“ spricht (E5, TC 0:08:05). Die Serie spannt damit das Paradigma einer semantischen Äquivalenz von Menschen, Tieren, Kultivierung von Natur, und ruft damit vor allem einen pervertierten Konnex von Männlichkeit und Materialität hervor, in der das einzig sinnstiftende Ideal der amerikanische Traum ist. Das wiederum lässt sich an Ed zeigen, der gerade in seiner sozialen Rolle als Versorger diesem Ideal nachstrebt, welches offenbar völlig überholt ist. Schließlich wird dieses Beziehungsgeflecht nach und nach dekonstruiert, wodurch Ed in eben jenes oben skizzierte Problemfeld der kontingenten Welt eintritt.
Die Serie verfährt dabei überaus zeichenhaft, indem sie Räumen Bedeutungen zuordnet und dann im Verlauf der Erzählung im Sinne einer Metaerzählung wieder dekonstruiert. Zentral für Ed ist dabei die Fleischerei: Ganz basal lässt sich auf diese Weise „Fleisch“ als Ware identifizieren, die über diese Funktion als Ware mit Männlichkeit verbunden ist, da sie als Lebensunterhalt – in diesem Fall für Ed – dient. Gleichzeitig ist Fleisch eine haptische Größe, die ihre Materialität metonymisch ausstellt.4)Zur metonymischen Beziehung männlichen Körpern und Fleisch vgl. auch Bodenburg, Julia: Fleisch – Letzte Zuflucht des Maskulinen. In: Naumann, Barbara (Hg.): figurationen. gender, literatur, kultur. Heft 1, 15. Jg. 2014. Köln/Weimar/Wien. S. 60. Das Fleisch fungiert dabei aber nicht nur als Zeichen der Sinnstiftung für Ed, es veranlasst darüber hinaus eine Kontiguitätsbeziehung zwischen Material und Körper des Schauspielers: In der Figur Ed Blomqvist konzentrieren sich die durch das Fleisch transportierten Werte und werden greifbar.
Zu Beginn läuft alles ganz nach Plan für Ed: Er bekommt die Fleischerei angeboten, hat sogar das nötige Geld für die Anzahlung. An diesem Punkt beginnt aber schon die Katastrophe der Kontingenz: Peggy überfährt den jüngsten Sohn des Gerhardt-Clans, woraufhin Ed die Leiche zunächst einfriert und anschließend in der Fleischerei handwerklich und fachkundig zerkleinert (E2, TC 0:50:20). Die Fleischerei ist folglich nicht mehr nur der Ort der finanziellen Absicherung für den Lebensunterhalt, sie ist fortan genau jener Ort, die das Leben explizit gefährdet und mit „Tod“ konnotiert ist. Diese Semantik zeigt sich zugespitzt im weiteren Verlauf, als Ed von dem Gerhardt-Clan in seiner Fleischerei ermordet werden soll. Bei dem anschließenden Kampf zwischen Ed und dem Mörder tötet Ed seinen Angreifer, die Fleischerei steht jedoch bereits in Flammen und brennt ab. Die Serie setzt in dieser Szene das Fleisch zeichenhaft in Szene: So versucht die (weibliche) Aushilfe den Angreifer mit einer Fleischkeule zu erschlagen und scheitert, Ed wird schließlich auf einem Berg von Fleisch gewürgt, bis er den Angreifer zuletzt mit einem Fleischermesser tötet (E5, TC 0:46:10).
Mit der Fleischerei brennen auch Eds letzte Hoffnungen auf sein Leben auf seinem idyllischen Hof ab, ebenso seine idealisierte Vorstellung seiner Rolle als „self-made man“ und Ernährer der Familie. An dieser Stelle verabschiedet Fargo auch die Materialität, das „bei den Dingen sein“ als sinnstiftendes Element sowohl in Eds Leben, als auch in Bezug auf das Leben anderer männlicher Protagonisten, wie etwa Mike Milligan. Die patriarchale Materialität wird – wie sich auch an anderer Stelle zeigt, radikal dekonstruiert und kapitalistisch gewendet. Während Ed noch seinen kleinstädtisch-provinziellen Träumen nachhängt, unterliegt die Welt in der er lebt einem starken Wandel. Sie wird in zunehmenden Maße kontingent, undurchsichtig und „kompliziert“ wie Peggy an einer Stelle bemerkt. So lässt sich etwa an Eds Tod das Eindringen einer kapitalistischen Ordnung in die Provinz erläutern.
Das Ende Eds mutet durchaus ironisch an: Er stirbt nämlich nicht irgendwo, sondern in der Fleischkühlung eines Supermarkts, also genau an jenem Ort, der seinem Traum ohnehin jede Grundlage entzogen hätte. Hierbei handelt es sich nicht bloß um die Tilgung einer Figur, die Serie vollzieht zugleich die Skalierung der ‚Fleisch‘-Semantik vom Männlich-Vitalen Körper des Versorgers zum toten Objekt. Es vollzieht sich ein Metaereignis, bei dem vor allem die Männer mit ihren geradezu archaischen Fetischen obsolet werden und durch die kapitalistisch-industrielle Ordnung ersetzt werden. Diese oktroyierte Entfremdung von ihrer selbstgewählten Materialität bekommen auch andere Männer zu spüren.
IV. Revolverhelden auf dem Abstellgleis
Fargo ist aber nicht bloß die Geschichte einer schwierigen Liebesbeziehung, die Serie erzählt auch von einem Bandenkrieg zwischen der ‚Gerhardt-Dynastie‘ und der ‚Kansas-City-Mafia‘. Das Selbstverständnis des Mannseins wird in Episode 4 der Serie während einer Erinnerung Dodds an seinen Vater offengelegt: „Kill the king, be the king“ (E4, TC 0:02:10). Dieses martialische Bild zeigt nicht nur an, dass sich das männliche Ideal in Fargo in der Regel auf eine verklärte Vergangenheit bezieht, es unterstützt auch das dezidierte Post-Western-Setting der Serie.
Männlichkeit wird genre-typisch codiert durch ‚Wildwest‘-Objekte und verlangt nach rekurrenter Performanz zur Selbstversicherung des Mannseins. Der Abruf von Cowboy-Styles und amerikanischen Gründungsmythen entwirft eine Welt, die seltsam aus der Zeit gefallen zu sein scheint: „Der Western-Held ist ein nostalgisches Bild – wie es einmal war, wie es vielleicht immer noch sein sollte, wie es wieder werden könnte, ein Bild der Ursprünge, der Sehnsüchte, der geheimen Wünsche und der aktuellen Orientierung“.5)Erhart, Walter: Männlichkeit, Mythos, Gemeinschaft – Nachruf auf den Western-Helden. In: Walter Erhart und Britta Herrmann (Hgs.): Wann ist der Mann ein Mann? Zur Geschichte der Männlichkeit. Stuttgart/Weimar 1997, S. 322. Und nicht zuletzt hierin liegt die Funktion des Genres begründet: Wie die Fleischerei oder die Lifespring-Seminare, so erscheint die Western-Welt hier als Fluchtort, an dem die männlichen Figuren noch ‚funktionieren‘, wo sie einen sinnvollen Auftrag finden können. Das wird besonders deutlich durch den Kontrast am Ende der Serie, der schließlich einen brutalen ‚Genre-Crash‘ veranlasst.
Die Beförderung Mike Milligans nach erfolgreichem Abschluss seines Auftrags, enthebt ihn zugleich des Rahmens, in dem er sinntragend agieren kann. Auf groteske Weise wird er – kurz zuvor noch der selbstbetitelte König! – all seiner Funktionen beraubt und endet in einem sterilen, 10qm Büro mit einer langweiligen Schreibmaschine auf dem Schreibtisch, „[q]uarterly projections and revenue statements are due on the 13th“ (E10, TC 0:42:30). Die Figur wird letztlich von einem kapitalistischen System eingeholt, die Serie präsentiert die Destabilisierung des Wildwest-Patriarchats im Zeitalter seiner technischen Überholtheit („there is only one business left in the world – the money business, just ones and zeros“. E10, TC 41:15:00) Retrospektiv, aus Sicht dieser neuen, ‚unverfügbaren‘ Realität der kapitalorientierten Welt, erscheint die gesamte Erzählung um den Bandenkrieg wie ein lächerliches Kinderspiel – „And this whole western – thing, that’s gotta go […] you want the old days? Go work in a coalmine! This is the future! […] Oh, um… you play golf? […] It’s where all the deals are being done these days.” (E10, TC 0:41:30).
In der Substitution des Revolvers gegen die Golfausrüstung liegt auch die Verabschiedung des hier entworfenen Männlichkeitsideals begründet; der martialische Mann wird obsolet. An seine Stelle tritt eine Macht, die, obwohl sie nicht greifbar ist, nicht weniger gewaltsam agiert. Es darf schließlich nicht außer Acht gelassen werden, dass das am Ende von Fargo präsentierte Unternehmen bereits zu Beginn der Serie wirkmächtig war, dort allerdings ausschließlich durch ihre Handlanger der Kansas-City-Mafia. Am Beispiel der Transformation des Mike Milligan kann also veranschaulicht werden, wie ein Mythos dekonstruiert wird, um einen neuen auferstehen zu lassen. Der Western-Held ist höchstens noch für die Fiktion geeignet, in der realen Welt kann solchen Männern jedoch kein Platz mehr eingeräumt werden.
Quellen:
Fargo (USA 2014-), 26 Keys Productions, The Littlefield Company, FX Productions. 2 Staffeln á 10 Folgen. Produktion: Kim Todd, Chad Oakes, Michael Frislev.
Bodenburg, Julia: Fleisch – Letzte Zuflucht des Maskulinen. In: Barbara Naumann (Hrsg.): figurationen. gender, literatur, kultur. Heft 1, 15. Jg. 2014. Köln/Weimar/Wien. S. 56-66.
Erhart, Walter: Männlichkeit, Mythos, Gemeinschaft – Nachruf auf den Western-Helden. In: Walter Erhart und Britta Herrmann (Hrsg.): Wann ist der Mann ein Mann? Zur Geschichte der Männlichkeit. Stuttgart/Weimar 1997.
Nietzsche, Friedrich: Werke. Erster Teil: Die Geburt der Tragödie oder Griechentum und Pessimismus. München/Wien 1981.
Reventlow, Franziska zu: Tagebücher 1886 bis 1910. In: Dies.: Sämtliche Werke in sechs Bänden. Hg. von Michael Schardt. 2. Aufl. Hamburg 2010.
- Kill the King, be the King: Sinnkrise und Männlichkeiten in Fargo Staffel 2 - 23. Januar 2017
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