Faschismus benennen – ein kommentierender Rückblick auf rechtsradikale Verlage der Frankfurter Buchmesse 2017

18. Oktober 2017 - 2017 / Allgemein / soziotext

Es handelt sich nicht um Menschen mit einer verfassungsfreundlichen Gesinnung, die auf dem Sofa des „Forums Wissenschaft und Bildung“ am Samstag auf der Frankfurter Buchmesse zu einer gemütlichen Plauderrunde zusammenkommen wollten. Es handelt sich um den rechtsradikalen und geschichtsrevisionistischen AFD-Politiker Björn Höcke, den wegen Volksverhetzung verurteilten Autor Akif Pirinçci und die vom Verfassungsschutz beobachteten völkisch-ideologisch Identitären Martin Sellner und Mario Müller. Letzter ist ein wegen Gewaltdelikten vorbestrafter Ex-Neonazi.

Zu der Veranstaltung geladen hatte der rechtsradikale Kleinverlag Antaios. Dessen Leiter Götz Kubitschek gibt sich in verlagseigenen Titeln nicht gerade dialogorientiert in Sachen freier Meinungsäußerung: „Von der Ernsthaftigkeit unseres Tuns wird Euch kein Wort überzeugen, sondern bloß ein Schlag ins Gesicht“, ist da nachzulesen.

„Weit davon entfernt, sich zuzuhören“

Im Publikum dieser Veranstaltung stehen dann erwartungsgemäß Rechtsextreme in T-Shirts mit dem Emblem der „Identitären Bewegung“, Neonazis mit akkuraten Side-cuts, die sich als Verfechter eines „Kulturkampfes“((Vgl. bspw.: Martin Semlitsch aka Lichtmesz: Die Verteidigung des Eigenen. Fünf Traktate, Schnellroda 2016.)) sehen. Vor dem Podium befinden sich aber auch linke Gegendemonstrant_innen, die den Eingeladenen nicht die Bühne überlassen wollen: Sie rufen laut „Kein Recht auf Nazi-Propaganda“, werfen Konfetti und machen Lärm mit Trillerpfeifen, als um ungefähr 18 Uhr die Hauptprotagonisten der „Identitären Bewegung“ Martin Sellner und Mario Müller das Podium betreten wollen.

Die Antwort des Antaios-Publikums folgt laut, einheitlich und prompt: „Alle Welt hasst die Antifa“. Es wird hektisch und unübersichtlich. Am Rande der Veranstaltung kommt es zu Rangeleien, die anwesende Polizei beginnt, mit einer Menschenkette die sich nun herausbildenden Lager zu trennen. Einzelne Gegendemonstrant_innen werden von der Polizei abgeführt und ihre Personalien aufgenommen. Zu Verhaftungen kommt es nicht, aber zu Platzverweisen.

Inmitten des Durcheinanders versucht Messedirektor Jürgen Boos, sich mit einem Megafon Gehör zu verschaffen, nachdem er vom Sicherheitspersonal über die Ausschreitungen informiert wurde. Was er spricht, geht im Lärm unter. Später wird er in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sagen, er sei bedrückt und enttäuscht darüber, „wie weit die beiden Gruppen davon entfernt waren, sich zuzuhören.“

Gesucht: Kreativer Umgang mit der ‚Neuen Rechten‘

Später werden viele enttäuscht und bedrückt darüber sein, dass es der ‚Neuen Rechten‘ nach den Ereignissen am Samstag gelungen ist, sich erneut in die gemütliche Opferrolle zurückzuziehen; sich als einen Diskursteilnehmer darzustellen, dem das Recht auf Meinungsfreiheit genommen wurde. Von einem Eigentor der Gegendemonstrant_innen wird da die Rede sein. Sie hatten mit zivilem Ungehorsam zu zeigen versucht, dass die an diesem Abend vertretenen Positionen nicht auf einer Buchmesse normalisiert werden sollten. Viele werden später enttäuscht und bedrückt darüber sein, dass die unglückliche Äußerung von Messedirektor Boos, die Gegendemonstrant_innen und die rechtsextremen Antaios-Anhänger auf eine Stufe gestellt hat.

Doch damit folgen Boos und die Buchmesse der Linie, die im Vorfeld und im Verlauf der Veranstaltung für eine Diskussion sorgte: über den Umgang mit der Anwesenheit von rechtsradikalen, der sogenannten ‚Neuen Rechten‘ zugehörigen Verlagen. Die Buchmesse sei eben auch ein Forum der Meinungsfreiheit: „Solange die Publikationen nicht gegen das Grundgesetz verstoßen, werden die einzelnen Verlage, die einen Stand beantragt haben, auch nicht von der Messe ausgeschlossen“, erklärte Tobias Voss, Geschäftsleitung Internationale Beziehungen. Man wolle vermeiden, dass sich die „neurechten Verlage“ so in eine Opferrolle zurückziehen können. Andererseits gebe es aber auch eine Pflicht, sich für Vielfalt und Toleranz einzusetzen und der Normalisierung rechtsextremer Diskurse gesellschaftlich entgegenzutreten. Aus diesem Dilemma zwischen der Normalisierung rechtsradikaler Positionen und deren aktiver Identifikation mit der Opferrolle helfe vor allem ein „kreativer Umgang“ mit deren Anwesenheit.

Eine Herausforderung, der die Frankfurter Buchmesse kuratorisch mit dem internationalen Format Weltempfang begegnen wollte. Dort gab es Podiumsdiskussionen zum Umgang mit Fake News, über die Ursachen von Flucht und Migration und eben eine Auseinandersetzung mit der sogenannten ‚Neuen Rechten‘. Auch mit der Anordnung der Verlagsstände sollte dem Auftritt der Rechtsradikalen begegnet werden.
Gegenüber des Antaios-Verlages befand sich die Amadeu-Antonio-Stiftung. Amadeu Antonio wurde 1990 von rechtsextremen Jugendlichen aufgrund seiner Hautfarbe zu Tode geprügelt. Die Stiftung leistet nun in über 1.200 lokalen Initiativen und Projekten Aufklärungsarbeit über Rassismus und Antisemitismus. Sie unterstützt außerdem Hilfsangebote für Aussteiger_innen aus der Naziszene.

„Dagegen-Sein ist ja auch nur Werbung“

Es ist schade, dass diese Arbeit nun nicht in der öffentlichen Debatte thematisiert wird. Schade, dass die Arbeit der Zeitschrift Cameo aus Hannover nicht mehr Aufmerksamkeit erfahren hat. Sie veröffentlicht von Geflüchteten verfasste Artikelserien zu deren existentiellen Sorgen und alltäglichen Herausforderungen. Martha, die an der Entstehung von Cameo mitwirkte, betonte: „Uns geht es hier nicht darum, etwas gegen das Programm der rechten Verlage zu tun, sondern etwas stattdessen.“ Dagegen sei ja auch nur Werbung. Ein Urteil, das auch nach einer Messewoche und vielen darauf gefolgten Diskussionen noch nahe liegt.

Denn bereits am Messemittwoch wurden Bücher des Antaios-Verlages von vermeintlich linken Gruppierungen beschmutzt und in der Nacht auf Freitag die Auslage des rechten Manuskriptverlages leergeräumt. Die ‚Neue Rechte‘ nahm diese Aktionen gerne als Werbeanlass und stilisierte sich zum Opfer. Und das obwohl im Laufe der Messewoche immer wieder Mitarbeitende des rechtsradikalen Antaios-Verlages selbst einzelne Veranstaltungen störten. Eine Veranstaltung im Forum Weltempfang unterbrachen sie beispielsweise mit lauten Zwischenrufen. Am Donnerstag kam es zu einem körperlichen Angriff während einer Veranstaltung der rechten Zeitung Junge Freiheit. Der Verleger Achim Bergmann vom Trikont-Verlag hatte eine kritische Bemerkung zu dem dort gehaltenen Vortrag von sich gegeben. Daraufhin bekam er von einem Zuhörer, der nicht seiner Ansicht war, einen Faustschlag verpasst.

Als dann Samstagabend die Veranstaltung des Antaios-Verlages durch lautstarken Protest gestört wurde, folgte erwartungsgemäß der Rekurs auf die Meinungsfreiheit und der Rückzug in die Opferrolle. Es hilft nicht, den Gegendemonstrant_innen einen Vorwurf zu machen, weil sie dieser Taktik „auf den Leim gegangen waren.“ Sie haben einen kreativen Umgang mit der Anwesenheit rechtsradikaler Positionen auf der Buchmesse gesucht. Dieser Umgang war der des lautstarken Protests und damit die aktive Verhinderung einer Veranstaltung. Damit haben sie sich verwundbar gemacht. Das sollte aber weder die Messeleitung, die Berichterstattung noch die politische Öffentlichkeit davon abhalten, den Faschismus der ‚Neuen Rechten‘ zu benennen und deren Taktiken herauszustellen.

Als die Gegendemonstrierenden am Samstagabend geschlossen unter Polizeibegleitung das Messegelände verließen, betrat Götz Kubitschek vom Antaios-Verlag ungestört die Bühne. Unter tosenden „Deutschland, Deutschland“-Rufen der rund 100 Anhänger_innen versprach er: „Wir werden wiederkommen!“

Andre Daub

› tags: Antaios / Buchmesse Frankfurt / Frankfurt / Identitäre Bewegung / Meinungsfreiheit / Neue Rechte / Opferrolle / rechtsradikal / Verlag / Verlagswesen / Ziviler Ungehorsam /

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