Mein Name ist Wilhelm, ich weiß von nichts – CFP für Umbenennungsvorschläge

7. Juni 2021 - 2021 / Allgemein / soziotext

Mitunter erscheint es ungeheuerlich, in welchen Verkleidungen Verantwortungslosigkeit daherkommt. Manchmal beansprucht sie sogar besonderes Verantwortungs- und Problembewusstsein für sich und redet besten Wissens und Gewissens der Barbarei das Wort. Was komisch klingt, ist leider so und zeigt sich seit geraumer Zeit in den Wortmeldungen der Diskussion um die Umbenennung der „Westfälischen Wilhelms-Universität“.

„Presse, Juden und Mücken […] eine Pest, von der sich die Menschheit so oder so befreien muss. […] Ich glaube, das Beste wäre Gas.“[1] Ohne Übertreibung kann Wilhelm II. als einer der prominentesten Vertreter des deutschen Militarismus und radikalen Antisemitismus, renitenter Demokratiefeindlichkeit und eines aggressiven Kolonialismus, zudem als Projektionsfläche, Katalysator und Brandbeschleuniger für all diese und damit verbundene Vorstellungen und Verschwörungstheorien gelten. Doch offensichtlich sind das keine schlagenden Gründe, den Hohenzollern als Namensgeber für eine bundesdeutsche Universität im 21. Jahrhundert zu disqualifizieren. Denn dass er ja nicht nur schlecht war – was wohl darauf zielt, dass in seiner Regierungszeit auch einige unumgängliche Adaptionen und Revisionen zur ‚Lösung‘ politischer und sozialer Fragen vorgenommen und zum Glück keine Autobahnen gebaut worden sind, die allen Zweifels erhaben machten – reicht manchen Gegnern einer Umbenennung zum vermeintlichen Argument, alle Vorwürfe an die öffentliche wie private Person Wilhelm II. zu ‚entkräften‘.

Nicht zuletzt wird dabei sein Status als Förderer der Wissenschaften und Künste im Allgemeinen und als Begründer der Münsteraner Universität im Besonderen angeführt. Ist die erste Apologie stets im wissenschaftshistorischen Kontext von naturgemäß nie interesselosem Kulturmonarchismus der um 1900 noch recht frisch geschaffenen Nation zu denken, steht die zweite Apologie auf noch spröderen Füßen. Sonderliche Dankbarkeit, aufgrund einer aus verwaltungslogischer Konsequenz resultierenden Genehmigung von Kaisers und Königs Gnaden Universität sein zu dürfen, scheint ungefähr so angemessen, als würden heutige (inner-)akademische Neugründungen als von (Bundes-)Staatsoberhauptes Gnaden interpretiert.

Während sich Armin-Laschet-Institute nun aber nicht nur aufgrund von etwas differenzierter gearteten Beziehungen von Regierenden und Regierten im verwalteten Staat ausschließen, scheint im vehementen Verweis auf die universitäre Urheberschaft durch jenen W2 ein gewisser Romantizismus im Rückblick auf Zeiten der Monarchie zu liegen, in denen einer für alles, gutes wie schlechtes, zuständig war. Der autoritäre Charakter hat auch hier offensichtlich längst nicht abgewirtschaftet. Wie zeitgemäß, progressiv und angemessen die Rücksichtnahme auf derlei als Traditions- und historisches Problembewusstsein ausgestellte Sehnsüchte und Geschichtsklitterei für eine der höchsten Bildungsanstalten in einem bald 75-jährigen demokratischen Gemeinwesen ist, scheint zweifelhaft. Dass diese traditionalistische Romantik allen heutigen und mitunter lang vergessenen, Kämpfer*innen gegen das, wofür dieser Monarch steht, Hohn spricht, ist dagegen sicher.

Solche Bedenken zur Geltung zu bringen, gilt jedoch den Gegner*innen einer Umbenennung als Moralismus und Anbahnung einer irgendwie ‚ideologischen Bereinigung‘ der Geschichte. Mit dem argumentativen Holzhammer des Verweises auf die Faktizität von Geschichte wird jeder Versuch, deren unwidersprochene Manifestationen heute, die Fortsetzung ihrer Irrwege und Wahnprojektionen in der Gegenwart nicht hinzunehmen, zu Klump gehauen: Was war, war eben, und das muss man doch bitteschön auch anerkennen. Unfreiwillig wird hier zweierlei bestätigt: Zum einen, dass Benennungen öffentlicher, halböffentlicher und privater Institutionen immer mindestens eine gewisse Anerkennung bedeuten. Zum anderen, dass Moral und Ideologie, Achselschweiß und Mundgeruch eben immer die Anderen haben; die Diskreditierung von progressiven politischen Haltungen als ‚ideologisch‘ dagegen stets von denen vorgebracht wird, die selbst keine Inhalte als die vermeintlich immer schon dagewesenen vertreten. Alles soll bleiben, wie es immer war – solange nur ein paar Info-Tafeln mit ihrer bewährt beruhigenden Wirkung das Gewissen bestrahlen, lässt sich bestens weiterwursteln. Der Preis für die behagliche Gewissensbefriedung in solcher Er- und Entledigung leidiger Aufarbeitung besteht in der Normalisierung exzessiver Gewalt und barbarischer Unmenschlichkeit als abgehakten, weil ja kritisch erinnerten Fehltritt deutscher Geschichte. Zahlen müssen ihn im Zweifelsfall, wie so oft, die ‚Nicht-Normalen‘.[2]

Mit derselben Argumentationslogik eines, so der Anspruch nicht nur in der Namensdebatte an der WWU, kritischen Umgangs mit Geschichte, den sich die Verteidiger*innen gegen das angebliche bereinigende ‚canceln‘ der Geschichte – weniger populistisch als Kritik an mutmaßlicher ‚Verdrängung‘ von Geschichte formuliert – auf die Fahnen geschrieben haben, lässt sich bequem jegliche Aufforderung zum tatsächlich kritischen Umgang negieren. Wie wäre es denn, im Sinne wirklichen Problembewusstsein, da Geschichte im öffentlichen Raum ja auch beunruhigen soll, man über sie stolpern muss und was nicht alles für scheinheiliger Firnis der behaglichen Verantwortungsverweigerung gegeben wird, mit einer pädagogisch wertvollen, weil noch viel mehr beunruhigenden Umbenennung? Wie wäre es denn mit der Gauleiter-Alfred-Meyer-Universität am Ulrike-Meinhof-Platz? Zweimal deutscher Radikalismus, dem totalitaristischen Hufeisen wie dem kritischen Bewusstsein, dem Lokalbezug und mehr noch dem Nie-Vergessen-Anspruch genüge getan? Doch schon verpufft der – zumindest in unserem Beispiel – satirische Zauber, da man erkennt, dass manche der sehr geehrten großen Männer unserer Geschichte sich genügend auf den Schuldschein haben notieren lassen, um niemals vergessen werden zu können: Ohne W2 ist die deutsche Geschichte nicht schreibbar. Und wir sollen dafür dankbar und demütig weiter unter diesem Namen studieren, statt ihn für all das, was in ihm steckt, zu verweigern.

Man könnte den Historizismus und die Verantwortungsarbeit des namentlichen Erinnerns auch ernst meinen, ein bisschen tiefer und differenzierter in die Geschichte der Universität schauen. Aber dann ginge es um wirkliche, echte Verteidigung gegen den Vergessenssog des kollektiven Bewusstseins und öffentlichen Erinnerns. Das wäre Arbeit. Das wäre umständlich. Und das würde immer noch kosten. Und so zeigt sich, mehr noch als ohnehin schon, worum es eigentlich geht. Denn wer schließlich als letztes – oder erstes – Ass Verwaltungskosten, auch gern mit „Wolln’mer doch mal sehen“-Geste, basisdemokratischen Entscheid aus dem Ärmel zieht, muss sich wohl den Einspruch gefallen lassen, dass ihm oder ihr historische und politische Verantwortung allenfalls sophistische Scheinargumente und jedenfalls ökonomischen Bedenklichkeiten sowie als Traditionswahrung missverstandener Bequemlichkeit und Beheblichkeit untergeordnet sind. Wer glaubt, dass öffentliche Erinnerungsarbeit nicht zu viel kosten darf, hat wohl erstmal nichts gelernt und dann auch noch das falsche studiert.

Die Umbenennungsdebatte an der WWU hat das Zeug, zur Farce zu werden, wie andere Diskussionen zuvor.[3] Es zeigt sich an und in solchen Diskussionen, wer der Geschichte zwei, drei, viele Schritte hinterherhinkt und mithin, wer seiner historischen, menschlichen und staatsbürgerlichen Verantwortung gewachsen ist.

Wir wollen uns unserer Verantwortung gewachsen zeigen, ungeachtet der Ergebnisse der langwierigen und zähen, weil mit allerlei unangemessenen und haltlosen Schein-Argumenten sabotierten Konsensfindung. Was wir dabei bieten wollen: die Plattform für Vorschläge zur Besserung. Wir rufen auf zur Einsendung von ernstgemeinten wie satirischen, offensichtlichen wie abseitigen, konsensfähigen wie utopischen Ideen, welcher Name unserer Universität besser zu Gesicht stehen würde, als ihr jetziger.

Stellt euren Vorschlag in einem kurzen Text vor (hier gibt es Infos für Gastautor*innen) und verseht ihn mit einer guten Begründung. So sollen über die Zeit nicht nur weitere Argumente gegen die angeblich geschichtsbewusste Bequemlichkeit gesammelt, sondern ebenso die Diskussion um den Namen unserer Universität öffentlich gehalten und konstruktive Vorschläge für bessere Namen zusammengestellt werden. Zeigt euer historisches und kritisches Verantwortungsbewusstsein und überlasst den Begriff nicht denen, die ihn zum inhaltsleeren Wort machen!

Eure Kulturprolet*innen

 

Bildquelle: Montage v. J. Mortsiefer unter Verwendung eines Fotos v. Dietmar Rabich u. einer Aufnahme von Wilhelm II. v. Preußen.

[1] Zitiert nach: Judenfeindschaft und Antisemitismus bei Kaiser Wilhelm II. Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundestags, 30. 11. 2007. Verfügbar unter: https://www.bundestag.de/resource/blob/413384/3c88becac46c9ce290f4567d00a96e8a/wd-1-172-07-pdf-data.pdf, aufgerufen am 02.06.2021.

[2] Lesenswert zu deutscher mutmaßlicher Leit- und überaus fehlerhafter Erinnerungskultur kommentiert Max Czollek: Desintegriert euch! München: Hanser 2018.

[3] Vgl. die Übersicht zu Benennungsdebatten an Universitäten im vom Asta der WWU zusammengestellten Reader, verfügbar unter: https://www.asta.ms/images/Dokumente/Asta/Publikationen/Reader/Wilhelmreader.pdf, abgerufen am 02.06.2021. Die Liste wäre zu ergänzen um die aufschlussreichen Diskussionen zur Benennung der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf oder der symbolischen und revidierten Widmung der Universität Tübingen an Ernst Bloch.

Kulturprolet_innen

› tags: Antisemitismus / CFP / Einsendungsaufruf / Erinnerungskultur / Gegenwartsbewältigung / Militarismus / Münster / Namensdebatte / Populismus / Public History / Verantwortung / Vergangenheitsbewältigung / Wilhelm / WWU /

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.