
Das Archiv der frühen Jahre – Irgendwie-Postideologie in Herrndorfs Plüschgewittern
4. Januar 2021 - 2021 / soziotext / texttext
Wolfgang Herrndorfs In Plüschgewittern (2002) ist einer dieser hervorragend selbstbezüglichen Texte, die dem im Eröffnungsbeitrag der Reihe Museum der Popmoderne gesetzten Erkenntnisinteresse entgegenkommen, regelrecht entgegenrennen. Halbwegs junger Mann um die dreißig und die Jahrtausendwende, Berlin, Kunstszene, Ennui, umfangreiche Selbst- und Fremdreflexion – das muss reichen, es ist mehr als genug. Beginnen wir.
Da geht also einer um die 30 recht planlos durch sein Leben, wird mitunter eher hindurch getrieben, nimmt überaus detailliert wahr und schließt diese Wahrnehmungen mit ebenso unwahrscheinlich genauen Erinnerungen kurz. In der Rekonstruktion der mystischen Einheitserlebnisse der Kindheit mit seiner Naturumwelt wie später in den zwar nicht originellen, aber doch stimmungsvollen großstadtromantischen Berlinansichten, eben in den Ansätzen der Nähe des Erzählers zur Welt – wenn auch überkompensatorisch als Identifikation von diesem mit jener – liegen die beeindruckenderen Sequenzen dieses Textes, weil der Erzähler, man dankt es ihm und kann, kurz, durchatmen, endlich einmal nichts zu kommentieren, zu verurteilen, zu kalauern hat.
Wenn Herrndorf hier das Innenleben einer an den eigenen theoretischen Ergüssen scheiternden Pseudo-Avantgarde vorführen wollte, ist ihm das gelungen. In absoluter Spiegelung und paradoxer Identifikation – Umkehrung der Identität von Natur und Individuum – mit der postmodernen Indifferenz und der daraus resultierenden Ratlosigkeit, mit der bahnbrechenden – doch was für eine Schwafelei bricht sich hier Bahn? – Idee der Zeichenwelt als Simulakrum und der Wirklichkeit per se als Wirklichkeitsmodell und Konstrukt ist der Erzähler nichts mehr, als der vollkommene halt- und haltungslose, standpunkt- und scheinbar ideologiefreie, perennierende Solipsismus. Doch halt: natürlich ist das alles ja hyperironisch.
Die detaillierte Wahrnehmungsfähigkeit, die offensichtlich grundlgend vorhandene Reflexionskompetenz in kritischer Absicht, tendiert durch diese nicht ganz glaubhafte, zynische Hyperironie zum Belanglosen in Kritikobjekt und kritischer Aussage, wo sie nicht plötzlich, unter dem Deckmantel der Spießerkritik, ins regelrecht Menschenverachtende abgleitet und nur verfängt, weil die Charaktere, die dem Erzähler begegnen, reine Idioten sind – und zugleich, in der pseudoindividuellen Szenekultur Berlins wie im norddeutschen Familienidyll, nur er selbst im anderen Körper. Die Umsturzgeste dieses durchs Leben stolpernden Schmerzensmannes ist eine ohne Elan wie ohne Idee – beides wurde ihm nach dem Ende der Geschichte und aller theorieunterfütterter Diskussion darüber gründlich ausgetrieben –, eine Antihaltung nur mit Bezug gegen etwas, nie für oder auf etwas hin, und sei es nur eine irgendwie idealtypische Gegenwelt, in der wunderbarerweise die Gesellschaft aus vulgär-nietzscheanischen Stirner- und Derrida-Karikaturen, die seinem Leben in Berlin die Staffage macht, funktionierte. Da haben selbst Hesses christlich-bürgerlich-mystizistische Affirmationstiraden mehr utopisches Potential.
Irgendwie passiert die gesamte Handlung; irgendwie, entlang des bekannten Generation-Beziehungsunfähig-Klischees, wird die Liebesgeschichte durchgekaut, irgendwie ein bisschen lustig ist manche Betrachtung dann doch, weil man irgendwie ganz behumst wird vom Lesen dieser irgendwie halbwegs wahrscheinlich zusammengestoppelten Stationen der Erzählung und irgendwie wird diese dann auch zu Ende gebracht. Die wesentlichen, ansatzweise haltbaren, weil nicht haltlos spottenden Reflexionsgänge erkennt man dann auch noch irgendwie als die aus Tschick wieder, wo es etwa ums Altern geht und das auch alte Menschen, die man gar nicht kennt, ein Leben gelebt haben – Kunststück.
Eine solche Belanglosigkeit muss man sich leisten können – im Leben wie im Schreiben. Als Kritik dieser haltlosen, sich abgeklärt gebenden Denkweise, wie sie hoffentlich mit den 2000ern verjährt ist, versagt der Text, indem er nur ca. 180 Seiten lang das ‚herrlich mitleidlose‘ innere Geschwafel wiedergibt und alle Selbst- und Fremdbezichtigungen wie der Verweis auf den vermutlichen Tod des Erzählers, das absolute Scheitern dieses Realitätszugangs also, quantitativ wie qualitativ marginal bleiben.
Was bleibt, entkleidet vom Anschein einer Handlung, ist die reine Bestandsaufnahme des postmodern-ironisch-geschulten Lebens einer selbsternannten und wortreich konstituierten Avantgarde von Kunst und Lifestyle im haltlosen Turbokapitalismus. Man kennt das, man kennt die Folgen der angeblich schonungslos und angeblich postideologischen Denke, die dann doch nach Halt suchte und ihn nicht nur im Einzelfall irgendwo in den Sümpfen der nouvelle philosophie und der Konsumtheorie zu finden meinte und meint. Popliteratur dieser Art jedenfalls ist das Archiv ihres eigenen Bewusstseins in den frühen Jahren und das ist vielleicht ihre wesentliche literaturgeschichtliche Bedeutung: die Bestandsaufnahme einer maroden Szene, ihrer Akteure und derer Innenleben. Es gilt die Selbstaussage, wie sie im Lauf des Textes, irgendwo, irgendwie, mit Bezug auf irgendwas Belangloses fällt: „Ich kann mir nicht helfen, aber ich finde das dermaßen albern.“ Bestenfalls bleibt es daher, wie das meiste zynische Gekeife in diesem Text, im Großen und Ganzen ebenso belang- und folgenlos.
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