Museum der Popmoderne. Eröffnung der Reihe für Literaturkritik

28. Dezember 2020 - 2020 / soziotext / texttext

Programmatisches mit einer pathetischen Sentenz.

Der Titel mag irreführen, wenn es um die Gegenstände, die Exponate der darunter in nächster Zeit ausgestellten Literaturkritiken geht. Denn in diesen wird eigentlich nur ein Aspekt einer Moderne seit dem Übergang in eine ‚Postmoderne‘ exponiert: literarische Texte. Das heißt hier, im Besonderen und weitesten Sinn: diese (zweite) ‚Popliteratur‘. Entscheidend bleibt die freie Assoziation.

Das trägt nun unwesentlich zur Erklärung des Vorhabens bei und wirft noch mehr Fragen auf. Warum ein so intensiv zwischen und in Feuilleton und Akademie – und selten außerhalb davon – durchdebattiertes Feld noch einmal beackern? Es scheint schlechterdings notwendig. Die zeitliche Distanz zur Formationsphase einer historisch ganz neuartigen und in vielerlei Hinsicht vorbildlosen (global-)gesellschaftlichen Situation nach dem Zerfall der Warschauer-Pakt-Staaten und damit dem Wegfall eines wesentlichen, je aktuellen Orientierungspunktes im Guten wie im Schlechten erlaubt und erfordert einen neuen Blick auf die sich naturgemäß bis in die Gegenwart fortsetzende kulturelle Neuverortung und Sinnsuche jener Zeit. Ganz besonders und scheinbar authentisch konserviert begegnen Versuche der Selbstverortung und Neukoordinierung in den Texten der ‚Popliteratur‘, ihrer Vorläufer wie ihrer Epigonen, aufgrund des besonderen Positionierungsbedürfnisses – und freilich der besonderen literaturbetrieblichen Positionierung – dieser mutmaßlich ersten Literaturgruppierung in der ‚neuen Zeit‘. Da schließt sich der Kreis, auch, indem die Diskussionen, Produkte und Akteure der – nein, nicht ‚jungen Wilden‘, spießiger geht es ja kaum, also drehen wir die Spießigkeit um und werden genauer – dieses, im wesentlichen, Herrenclubs ‚Popliteratur‘ bis heute wichtige Bezugspunkte und Einflussfaktoren in der betrieblichen und akademischen Auseinandersetzung mit der Literatur nicht nur jener umfassenden Konstitutionsphase unserer ‚Postmoderne‘ sind, mittelbar und unmittelbar. Auf diesem Weg wird der reißerische Maximalismus des Titels vielleicht doch ein bisschen gerechtfertigt, denn ähnlich lassen sich für alle anderen Materialisationen der ‚Popmoderne‘ in der ‚Postmoderne‘ Relektüren legitimieren und fordern, indem der Fokus auf die versuchte Methode und Form der Relektüre erweitert wird.

Besagte Auseinandersetzung erfolgt hier dezidiert nicht wissenschaftlich, sondern in der Arbeitsform der Literaturkritik, als Versuch, wie man als Literaturwissenschaftler Kritik schreiben kann, was es bedeutet und ermöglicht, eindeutig subjektive Kriterien an einen Text anzulegen, wie sie im literaturkritischen Alltagsgeschäft oft genug einzig als Ermöglichung willkürlicher normativer Einschätzungen und indifferenter Urteile genutzt werden. Hier soll die Subjektivität der Gattung Kritik in anderer Tendenz genutzt werden: Zwar als bekannte Legitimation, dass nicht alles zur Sprache kommen kann, was in den Texten liegt und wo das herkommt – das ist bei den neu besprochenen Gegenständen gar nicht nötig. Davon ausgehend jedoch können Deutungsmöglichkeiten aus einem neuen (De-)Kontext resultieren, die bisher vielleicht eher weniger betrachtet worden sind: Die Relektüre zielt explizit auf die Ideologien der ‚Postideologie‘. Damit im dialektischen Verhältnis stehend wird Subjektivität umgekehrt, indem versucht wird, auf welche Weise nicht-indifferente subjektive Erwartungen und Maßstäbe an literarische Texte angelegt werden können. Was dabei herauskommt, möglicherweise nicht nur trial, sondern auch error, sind die Kritiken dieser Reihe, der – noch einmal Metaphorik – Ausstellungskatalog des Museums der Popmoderne als Kritik der Exponate, im Streit mit ihnen und offen Partei einklagend zusammengestellt. Die kleine Form der Kritik als Anregung zum reflektierten (Wieder-)Lesen, nicht als Inhaltsangabe.

Daraus also die pathetische Sentenz zur neuen Reihe und Kritik im Allgemeinen, wie versprochen: Im Museum der Popmoderne ist der Literaturkritiker nicht nur Kurator – er bleibt Stratege im Literaturkampf auf den Terrains von Kanon, Bedeutung und Deutung.

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