„Honey, Honey, wofür willst du Money?“ – Mutterschaft und unbezahlte Reproduktionsarbeit im Schlager
15. Januar 2019 - 2019 / Deine Mutter / soziotext / tontext
Ich bin Mutter, ich bin Hausfrau
ich bin Köchin und ich wasch den Wagen.
Ich hab tausend Jobs auf einmal
und alle unbezahlt.(( Claudia Jung: Tausend Frauen. Auf: dies.: Hemmungslos Liebe. CD. Koch Universal Music 2008. URL: https://www.youtube.com/watch?v=2Usk_SbFVSc))
– Claudia Jung: Tausend Frauen –
Angesichts von Schlagern über Mutterschaft wie Heintjes Mama oder Heinos Ich hab Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren birgt Claudia Jungs Lied Tausend Frauen von 2008 erhebliches Irritationspotenzial. Nicht nur drückt sich hier ein Ich aus, das selbst Mutter ist, dieses Ich benennt auch konkrete Arbeiten, wo andere Schlager nur vage von „Müh und Arbeit ohne Ende“((Friedl Berger-Duo: Nie vergess‘ ich Mutter‘s Hände. Auf.: dies.: Nie vergess‘ ich Mutter‘s Hände / Einmal. 7″-Single. Polydor 1961. URL: https://www.youtube.com/watch?v=CFt2bBGD1VY.)) berichten. Und dann geht die Mutter bei Claudia Jung in ihrer Mutterrolle nicht nur nicht auf, sondern scheint, indem sie thematisiert, dass ihre tausend Jobs in der Hausarbeit allesamt unbezahlt sind, auch noch Geld zu verlangen für diese Reproduktionsarbeit.((Unter Reproduktionsarbeit verstehe ich hier die für die Produktion von Individuen und Arbeitskraft notwendige Arbeit.)) Explizit forderte das die in den 1970ern von italienischen Feministinnen initiierte internationale „Lohn für Hausarbeit“-Kampagne, mit der „Reproduktionsarbeit überhaupt erst als Arbeit sichtbar gemacht werden sollte“.((Herausgeber_innenkollektiv Kitchen Politics – Queerfeministische Interventionen: Einleitung oder: Anleitung zum Aufstand aus der Küche. In: Silvia Federici: Aufstand aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution. Münster: edition assemblage 2012. S. 6–20, hier S. 13.)) Ist Jungs Schlager also ein Beispiel für die von Ronald M. Schernikau festgestellte „intelligente Dummheit“,((Ronald M. Schernikau: Über Schlager in der DDR. In: ders.: Königin im Dreck. Texte zur Zeit. S. 109–133, hier S. 111.)) die im Schlager durchaus möglich ist und in die Welt der Schlagerklischees soziale Veränderungen einbringt? Welche Veränderungen sind das? Und hat sich das Bild von Müttern im Schlager seit Heintje und Heino vielleicht insgesamt gewandelt?
Alter, Mühe, Tod
Ein erstes Beispiel für das klassische Mutterbild des Schlagers gibt Heinos 1971 erschienene LP Liebe Mutter … Ein Blumenstrauß, der nie verwelkt. Ihre erste Seite enthält schon von anderen Künstlern erfolgreich interpretierte Mutterschlager, die zweite Seite ist durchsetzt mit klassischen lateinischen Liedern für die Mutter Gottes, was den mythischen Charakter des auf der Platte gezeichneten Bildes von irdischen Müttern ganz richtig anzeigt. Überirdisch, wenn auch eher außerirdisch-furchteinflößend, wirkt auch Heino auf dem Cover der Platte, wo er sich mit wasserstoffblonden Haaren, blassweißer Haut und starrem Blick hinter getönten Brillengläsern, einen Strauß roter Rosen in der Hand haltend, als Vorzeigesohn präsentiert.
Die Schwerpunktsetzung der LP ist auffällig. Direkt in den ersten drei Liedern geht es um Alter, Krankheit und Tod der Mutter, auch sonst überwiegen Wörter aus diesem Begriffsfeld wie „Sorge“, „Leid“, „Arbeit“, „Kummer“. Ich hab Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren, das erste Lied, verdeutlicht das textliche Programm: „Ich hab Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren, / sie verschönern der Mutter Gesicht / und sie krönen die Arbeit von Jahren / und ein Leben in Treue und Pflicht.“((Heino: Ich hab‘ Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren. Auf: ders.: Liebe Mutter … Ein Blumenstrauß, der nie verwelkt. LP. Columbia 1971. URL: https://www.youtube.com/watch?v=-lHzar23I18.)) Die Mutter opfert sich auf für ihr Kind und gibt mit ihrer Arbeitskraft auch die Jugend dahin, während das Kind ständig ermahnt werden muss, sich angesichts des dauernd drohenden Muttertodes ausreichend dankbar und ehrfurchtsvoll zu zeigen: „Doch nütz die Zeit, die dir noch bleibt, / um Danke ihr zu sagen, / auch deiner lieben Mutter Herz / hört einmal auf zu schlagen.“((Heino: Wenn du noch eine Mutter hast. Auf: ders.: Liebe Mutter … Ein Blumenstrauß, der nie verwelkt. LP. Columbia 1971. URL: https://www.youtube.com/watch?v=6wrel0Cvk5s.))
Ergänzen lässt sich dieses Bild der Mutter als mit Alter, Mühe und Tod verbundener Gestalt, die Dankbarkeit und Ehrfurcht heischt, durch eine Betrachtung der bei Bear Family Records erschienenen Kompilation Das Glück liegt in der Mutter Hände. Sie enthält von 1936 bis 1966, aber größtenteils in den 50ern erschienene Lieder von eher unbekannten Interpret_innen. Die Liebe der Mütter steht dort im Gegensatz zur erotisch-romantischen Liebe ihrer Söhne und Töchter. Jene ist im Gegensatz zu dieser beständig („Und wenn ihn die Geliebte / auch längst verlassen hat, / ein Mensch hielt ihm die Treue / auf seinem Lebenspfad“((Die Lohmayer Dirndln: Ein Mutterherz. Auf: dies.: Ein Mutterherz / Am Elterngrab. 7″-Single. Odeon 1959))), dafür ist im Herzen der Mütter kein Platz mehr für etwas anderes als ihre Kinder („es schlägt der Mutter Herz / nur für dich in Freud und Schmerz“((Die Heidesänger: Das Glück liegt in der Mutter Hände. Auf: dies.: Das Glück liegt in der Mutter Hände / Bei der alten Laterne. 7″-Single. Polydor 1961. URL: https://www.youtube.com/watch?v=9IkUm-5pEo0.))) und sie sind Wesen außerhalb jeder erotischen Zärtlichkeit geworden. Die Mütter müssen erst daran erinnert werden, dass sie früher einmal in ihre Männer verliebt gewesen sind („Denk an all die schönen Stunden, / als du den Papa gefunden“((Geschwister van Loosen: Das Mädchen und der Fremde. Auf: dies.: Das Mädchen und der Fremde / Der verlorene Sohn. 7″-Single. Odeon 1961. URL: https://www.youtube.com/watch?v=eOiSVStU-d8.)), „Mutter, ach Mutter, ach denke daran: / Du hast es früher genauso getan“((Anni und Gerda: Mutter, ach Mutter, was hab ich getan? Auf: Die Cacadus und die Radio Stars unter der Leitung von H. Peritz / Anni und Gerda: ‘s Träumli / Alte Liebe rostet nicht / Sie steht bei der Hafenlaterne / Mutter, ach Mutter, was hab ich getan? 7″-EP. Elite 1957. URL: https://www.youtube.com/watch?v=P4avmDGqivc.))). Aufforderungen, der Mutter zu danken für ihr mühevolles Wirken und ihre Liebe, finden sich auch hier, allerdings ist es dafür oft schon zu spät, wovon Lieder wie Mutters Grab oder Das Waisenkind berichten. Mutterliebe vermag aber sogar den Tod zu überdauern. In Mutters Grab heißt es: „Ich spüre die Liebe, die sie mir einst gab / auch noch heute an Mutters Grab“.((Mädchen ohne Namen: Mutters Grab. Auf: dies.: Mutters Grab / Was soll nun werden! 7″-Single. Philips 1962. URL: https://www.youtube.com/watch?v=iFMhQANIfBk.)) Die meistbesungenen Körperteile der Mutter sind ihr Herz, das Träger der Liebe ist, und ihre Hände, die die Liebe des Mutterherzens in „Müh und Arbeit ohne Ende“((Friedl Berger-Duo: Nie vergess‘ ich Mutter‘s Hände. Auf.: dies.: Nie vergess‘ ich Mutter‘s Hände / Einmal. 7″-Single. Polydor 1961. URL: https://www.youtube.com/watch?v=CFt2bBGD1VY)) nach außen tragen. Worin Mühe und Arbeit der Mutter aber bestehen, also ihre täglichen Arbeiten, verschwindet hinter dem Mythos der Mutterliebe und großen Worten.
Muttermythen
Dieses Mutterbild und auch die Perspektive, in der es dargeboten wird, die nie die Sicht der Mutter selbst ist, findet sich also nicht erst bei Heino, sondern schon im Schlager der 50er. Dahinter stehende Vorstellungen dürften deutlich älteren Datums sein. Laut Barbara Vinken breitete sich, geschaffen von Reformation und Humanismus, der Mythos der „Mutter, die im patriarchalischen Haushalt zu Dienst und Opfer bereit ist und im Pflegen und Erziehen der Kinder ihre wichtigste Aufgabe erkennt“((Barbara Vinken: Die deutsche Mutter. Der lange Schatten eines Mythos. Ungekürzte Taschenbuchausgabe. München: Piper 2002, S. 109.)) als höchste Stufe der Weiblichkeit seit dem 16. Jahrhundert über ganz Europa aus, „überlebte die Säkularisierung und paßte sich neuen Zeiten und Umständen an“.((Ebd, S. 110.)) In der „Restauration der patriarchalischen Kleinfamilie in den fünfziger Jahren“,((Ebd., S. 260 f. )) die in den Mutterschlagern und ihrer Betonung der intimen Beziehung von Mutter und Kind sichtbar wird, sieht Vinken eine Reaktion auf die nationalsozialistische Loslösung der Mutterschaft aus der Sphäre der Familie und auf die Aufrichtung des Ideals einer Mutter, die nicht im Dienst an der Familie, sondern im Dienst am Volk aufgeht.((Vgl. ebd., S. 266–296.))
In der nationalsozialistischen Parteiliteratur findet sich tatsächlich ein solches Mutterbild. So schreibt die völkische Schriftstellerin Maria Kahle in ihrem nach Deutschlands Überfall auf Polen in der Zeitschrift Heimat und Reich erschienenen Text Die deutsche Frau und ihr Volk, dass im Krieg die Mütter für ihr Volk ihre Kinder zu geben hätten, und stellt als Vorbild für Mütterlichkeit eine Mutter dar, die auf den Tod ihres Sohnes im Ersten Weltkrieg mit den Worten „Ich bedaure nur, nicht zehn Söhne zu haben, um sie Deutschland geben zu können“((Maria Kahle: Die deutsche Frau und ihr Volk. In: Heimat und Reich. Monatshefte für westfälisches Volkstum (1939) H. 11. S. 393–395. Zitiert nach dem Wiederabdruck in: Walter Gödden, Arnold Maxwill (Hgg.): Westfälische Literatur im „Dritten Reich“. Die Zeitschrift Heimat und Reich. Eine Dokumentation. Bielefeld: Aisthesis 2012. S. 684–687, hier S. 684.)) reagiert. Eventuelle familiäre Bindungen von Müttern und Kindern sind in diesem Text total der Bindung zum Volk untergeordnet: „Du und deine Sippe! dies Gesetz steht über der Gemeinschaft der Familie. Die enge Verbundenheit des Blutes […] verlangt Eingliederung, Unterordnung, Ehrfurcht und Treue von jedem einzelnen, der ihr zugehört.“((Kahle: Die deutsche Frau und ihr Volk, S. 685.)) Die Unterhaltungsmusik im Nationalsozialismus dagegen orientierte sich eher an der Darstellung traditioneller Familienbeziehungen. Heintjes großer Erfolg Mama von 1967 etwa wurde unter dem Titel Mutter schon 1941 für die Synchronfassung eines italienischen Spielfilms geschrieben. Marcel Beyer bezeichnet das Lied in seinen Frankfurter Poetikvorlesungen deshalb als „einen Blitzkriegschlager“((Marcel Beyer: Das blindgeweihte Jahrhundert. Bild und Ton. Berlin: Suhrkamp 2017, S. 185.)), was sich aber eher auf die politischen Umstände der Entstehungszeit und die vom Krieg ablenkende Wirkung der nationalsozialistischen Unterhaltungsindustrie bezieht als auf den Inhalt des Liedes. Es mag naheliegen, im Abschied des Sohnes von seiner Mutter den Abschied eines Soldaten zu sehen, aber auf der Textoberfläche ist der Abschied einfach ein mit dem Erwachsenwerden einhergehender, wie er sich im Mutterschlager zuhauf findet.
Aufbruch und Einhegung
Die Topoi des Schlagers sind eben von erstaunlicher Haltbarkeit und das beschriebene Mutterbild setzt sich in diesem bis in die Gegenwart fort. Auch in Vielen Dank Mutter von den Amigos wird Dankbarkeit für die aufopferungsvolle Tätigkeit der Mutter ausgedrückt und in Michelles Die Flügel meiner Ma ihr Tod thematisiert. Beide Lieder erschienen 2009 und die Perspektive beider Lieder ist die der Kinder. Aus diesem klassischen Rahmen fällt Tausend Frauen von Claudia Jung deutlich heraus, was seinem Erfolg keinen Abbruch tat. Ihr Label bewarb noch Jungs 2016er Album mit den Worten: „‚Weil ich tausend Frauen bin‘ – diese Hit-Zeile von Claudia Jung haben wir noch alle im Ohr.“((Das neue Album „Frauenherzen“ von Claudia Jung. 08.07.2016. URL: https://www.universal-music.de/claudia-jung/news/das-neue-album-frauenherzen-von-claudia-jung-239513.))
Wie ist der Text des Liedes gemacht und wie verhält es sich zur Reproduktionsarbeit? Zuerst einmal akzeptiert es die klassisch-kapitalistische Trennung in wertschöpfende und also entlohnte Arbeit und unbezahlte Haus- beziehungsweise Reproduktionsarbeit nicht. In der ersten Strophe, die ein Du anspricht, werden reproduktive Tätigkeiten wie „der Hund muss raus, / Frühstück“ und „das Kind noch zur Schule fahrn“ gleichwertig neben den „Job“ mit am Telefon nervendem Chef gestellt. Der Refrain, in dem ein Ich berichtet, legt durch „Ich hab tausend Jobs auf einmal / und alle unbezahlt“ dann aber ein Überwiegen der unbezahlten Reproduktionsarbeit nahe. Der von Männern gesungene Vers „Ist doch easy, alles super easy“ wird am Ende des Refrains vom Ich wieder aufgegriffen mit den Worten „Ist doch easy, super easy / Weil ich tausend Frauen bin“. Der Kontext legt nahe, darin eine ironische Antwort auf die Aussage des Männerchores zu sehen – das Ich ist eben nur eine Frau, nicht tausend, leistet aber so viel unterschiedliche Arbeit wie tausend Frauen, was die ebenfalls von Männern gesungene Frage „Honey, Honey, wofür willst du Money?“ als ignorante Frechheit dastehen lässt. Wofür Geld zu zahlen wäre, wird im Lied ja aufgeführt. Dass mütterliche Hausarbeit diverse Jobs in sich vereinigt, ist etwas, was auch in feministischer Literatur im Umfeld der „Lohn für Hausarbeit“-Kampagne begegnet: „[W]e have been forced into many jobs at once. We are housemaids, prostitutes, nurses, shrinks“.((Silvia Federici: Wages against Housework. Bristol: Falling Wall 1975, S. 6. URL: https://monoskop.org/images/2/23/Federici_Silvia_Wages_Against_Housework_1975.pdf.))
Die zweite Strophe, in der das Ich des Refrains wieder in Du-Form angesprochen wird, hegt die Kritik an der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und ihrer ungleichen Bezahlung dann aber ein in ein gesellschaftlich akzeptiertes Format und empfiehlt nicht etwa den Aufbau einer feministischen Bewegung oder einen Streik, sondern individuelle Fluchten: „Weg mit dem Telefon, / weg mit den Stöckelschuhn! / Einfach mal gar nichts tun! / Allein in den Urlaub fahrn, / ganz ohne Kind und Mann“. Die diesen Urlaub beschreibenden Verse „die Sterne drehn sich nur um dich. / Barfuß durch die Wellen gehen / und endlich wieder Sonne sehn“ greifen aufs Bildrepertoire des klassischen Schlagers zurück und binden zusammen mit der individuellen Fluchtperspektive das Lied in das System des Schlagers ein, in dem das Glück gerne im Urlaub oder kleinen Veränderungen des Alltags gesucht wird.
Mutterschlager im Postfordismus
Trotzdem bleibt die große Differenz des Liedes zum üblichen Mutterbild im Schlager bestehen, der Hausarbeit in der Regel nicht näher benennt und die Tätigkeit von Frauen im Bild der Mutter als „act of love“((Federici: Wages against Housework, S. 3.)) darstellt. Was dieses Bild verdeckt, ist das Resultat ans Geschlecht gebundener naturalisierter Teilung von Arbeit, von der das Kapital profitiert, indem es für die Reproduktion der Arbeitskraft nicht noch zusätzlich Lohn bezahlen muss.((Vgl. Federici: Wages against Housework, S. 4–6.)) Dass dieses mit der Schwerindustrie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingeführte Produktionsmodell der geschlechtlichen Arbeitsteilung, das die körperlich desaströse Fabrikarbeit von Männern, Frauen und Kindern auf die Gruppe der Männer beschränkte,((Vgl. Silvia Federici: Die Reproduktion der Arbeitskraft im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution. In: dies.: Aufstand aus der Küche. Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution. Münster: edition assemblage 2012. S. 21–86, hier S. 30 f.)) brüchig geworden ist, zeigt Jungs Lied ebenfalls. Zwar bleibt es dabei, dass Hausarbeit nicht bezahlt wird, doch hat das Refrain-Ich in Tausend Frauen zusätzlich zur Hausarbeit auch einen bezahlten Job und es ist gerade diese Mehrfachbelastung, die das Strophen-Ich das Refrain-Ich fragen lässt: „Wie kannst du nur die ganze Zeit so tun, als wär das alles super easy?“
Frühe populäre Schlager, die die Sicht einer Mutter und Hausfrau einnehmen und konkrete Hausarbeiten nennen, sind Lieder von Johanna von Koczian. Neben dem sehr erfolgreichen Das bißchen Haushalt … sagt mein Mann, das sich 31 Wochen in den deutschen Single-Charts hielt und von Koczian auch in die ZDF-Hitparade führte, stammt von ihr auch Keinen Pfennig, das die fehlende Bezahlung für Reproduktionsarbeit thematisiert. Musik und Text zu diesen Liedern haben wie zu Tausend Frauen übrigens Männer geschrieben. Im 1974 erschienenen Keinen Pfennig berichtet eine Mutter davon, dass ihr Sohn zu ihr kommt und ihr eine Rechnung vorlegt, in der er die von ihm geleisteten Hausarbeiten verbunden mit Lohnforderungen auflistet. Seine Mutter reagiert, indem sie ihm wiederum eine Rechnung schreibt, darin Posten wie „Ich wachte an deinem Bett“((Johanne von Koczian: Keinen Pfennig. Auf: dies.: Du bist mein Zuhause. LP. CBS 1974.)) aufführt, die aber allesamt nichts kosten, und mit dem Fazit „Insgesamt kostet dich all die Liebe von mir: keinen Pfennig“ schließt. Der Sohn ist gerührt und schreibt unter seine Rechnung: „Alles bezahlt“. Zwar sieht auch dieser Schlager wie der klassische Mutterschlager mütterliche Reproduktionsarbeiten als Liebesdienste an und verteidigt so die traditionelle Arbeitsteilung, doch wird hier in den Bereich der Familie ökonomisches Denken getragen und wirkt das Ausbleiben des Lohns für Hausarbeit weniger selbstverständlich als noch in den 50er und 60er Jahren.
Dies dürfte wie überhaupt die Thematisierung von Reproduktionsarbeit eine Reaktion auf feministische Kämpfe der 70er Jahre sein, die eben auch Lohn für Hausarbeit forderten und die geschlechtliche Arbeitsteilung sichtbar machten.((Vgl. Federici: Die Reproduktion der Arbeitskraft, S. 40–43. )) Gelingt es bei von Koczian noch, diese Arbeitsteilung mit dem Verweis auf die topische mütterliche Liebe aufrechtzuerhalten, musste das Kapital auf die realen Kämpfe der Frauen anders reagieren. Mit der Ersetzung des Fordismus durch neoliberale Wirtschaftsmodelle nach den Wirtschaftskrisen der 1970er breitete sich – schlechter bezahlte und vor allem im Dienstleistungssektor angesiedelte – weibliche Berufstätigkeit aus. Sarah Speck beschreibt die neuen gesellschaftlichen Anforderungen an Frauen mit den Worten, dass diese „für ein glückliches, erfülltes Leben […] möglichst Beruf und Familie haben [sollten], in marxistischen Termini ausgedrückt: Produktions- und Reproduktionsarbeit leisten“.((Sarah Speck: Bilder und Bürden. Funktionen und Transformationen von Mutterschaft. In: Maya Dolderer, Hannah Holme u. a. (Hgg.): O Mother, Where Art Thou? (Queer-)Feministische Perspektiven auf Mutterschaft und Mütterlichkeit. Münster: Westfälisches Dampfboot 2016. S. 26–46, hier S. 37.)) Von dieser Mehrfachbelastung berichtet Tausend Frauen und ist damit eine deutliche Abkehr vom klassischen Mutterbild im Schlager.
So sind die Lieder Jungs und von Koczians ein Beispiel dafür, wie das starre und träge System des Schlagers nicht, wie oft behauptet, durch und durch apolitisch ist, sondern – auf einhegende Weise – politische Kämpfe integriert und dadurch den Umfang der in ihm möglichen Äußerungen erweitert. Dem Schlager gelingt es also nicht nur immer wieder, musikalische Verfahren der Popmusik zu integrieren, sondern auch zeitgenössische politische Diskurse aufzugreifen. Ihre mehrheitsgesellschaftskonforme Wendung erfahren sie durch die Anpassung ans System des Schlagers. Dennoch zeigt sich Schlager als eine gesellschaftliche Widersprüche abbildende Kunstform, deren Analyse sehr genau zeigen kann, ab wann ideologische Gewissheiten wie etwa die der alles aus Liebe gebenden Mutter in einem veränderten polit-ökonomischen Umfeld brüchig werden.
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