„Jenny mein Stern, ich umarme dich so gern“. Gedanken zu Musik, von der man sich wünschte, sie wäre ironisch gemeint.
6. November 2017 - 2017 / Allgemein / tontext
Der im Titel zitierte Kosename aus Dagoberts Song Jenny((Dagobert: Jenny, aus dem Album Afrika, Buback (Universal Music) 2015.)) ist jene einfallslose Massenware, die sich in jedem x-beliebigen Schlager finden ließe. Dagoberts Hörer_innen aber, Berliner Hipster_innen etc., würden sich dieser Kategorisierung des Songs sicher widersetzen, so hoffe ich, und vermutlich über den Moment der Ironie als Differenzmoment gegen sie argumentieren. Aber ist Dagoberts Musik ernstgemeinter Schlager oder blanke Ironie? Und würde letzteres die Sache besser machen?
Ich höre kein Radio und keine Charts, sehe kein Musikfernsehen; an Dagobert wäre ich nie geraten, wäre er mir nicht empfohlen worden. Empfehlungen gehen meist mit einer recht eindeutigen Charakterisierung einher: „Das musst du dir anhören, das ist gut.“ oder „Das ist noch richtiger Punk.“, „Das ist richtig schlecht.“ etc. Die Freundin, die mir einen Link zu einem YouTube-Video von Dagobert schickte, lieferte mir keinerlei Kontext dazu. Ganz unvoreingenommen sah ich mir also den großen, dürren und recht steifen jungen Mann an, der in einem pathetischen schwarz-weiß Clip in Dandykostüm durch die Straßen läuft und sich weinenden Damen gegenüber erklärt, er sei ‚zu jung‘. Es war furchtbar, doch zugleich meinte ich, eine gewisse Ironie in seinem gekünstelten Habitus zu erkennen, in seiner übertrieben (un)deutlichen Aussprache, in seinem Gesichtsausdruck, der jeden Moment in ein Lachen zu zerbersten drohte. Nur sicher, sicher war ich nicht und fragte also besagte Freundin. Im wahren Leben, sprich live, so ihre Antwort, wirke das nicht so. Die Medien sehen das ähnlich und zeichnen das Bild eines nicht ironischen, teilweise einfach naiven Sängers. Die Süddeutsche urteilt darüber hinaus, Dagobert kenne die Ironie, habe sie aber überwunden, indem er die „hohl gewordene Form […] mit seiner melancholischen Alien-Persona“ fülle.((Vgl. Kathleen Hildebrand: Dagobert-Album „Afrika“. Heilung für Hipster, 19.03.2015: http://www.sueddeutsche.de/kultur/dagobert-album-afrika-heilung-fuer-hipster-1.2392386 (letzter Zugriff: 10.10.2017).)) Dieses Urteil mag nicht zuletzt darauf fußen, dass der Künstler selbst Entsprechendes äußert.((Vgl. Das war Selbstmord auf Raten – Dagobert im Interview, 20.03.2015: http://www.musikblog.de/2015/03/das-war-selbstmord-auf-raten-dagobert-im-interview/ (letzter Zugriff: 10.10.2017).)) Auch der Tagesspiegel schließt, man könne zwar meinen, Dagobert sei ironisch, aber…
dann kommt Dagoberts Geschichte und Erscheinung dazu, und schon wird aus dem Einfaltspinsel ein extrem autonomer Künstler, der sein Schaffen einer sehr ehrlich gemeinten – und gemachten – Form der heutigen Minne verschrieben hat. Wenn man diese Geschichte auf dem Infozettel der Plattenfirma liest, befindet man: Schön, aber ausgedacht. Wenn Dagobert selbst diese Geschichte erzählt, glaubt man, dass man ihm glauben kann.((Kirsten Riesselmann: Elektroschlager. Schönheit ist wichtiger als Schnitzel, 14.04.2013: http://www.tagesspiegel.de/kultur/elektroschlager-schoenheit-ist-wichtiger-als-schnitzel/8061984.html (letzter Zugriff: 10.10.2017).))
Diesen Zeilen ist selbst fast eine ironische Lesart eigen. Und es ist also wieder der alte Zauber, das mysteriöse Charisma, das viele Künstler_innen umgibt und an dem eine Beurteilung hängt – und möglicherweise scheitert. Dagoberts autobiografische Erzählung scheint doch allzu nahe an Heilsgeschichten und Künstler_innenlegenden; er musste die Geschichte bereits unzählige Male erzählen – und längst ist sie erstarrt: ein Mann, der jahrelang ohne Internet und Telefon in der Einsamkeit der Berge hunderte Lieder schreibt, sich mit Reis allein am Leben hält.((Vgl. Simone Jung: Der Mann aus den Bergen, 19.08.2010: http://www.taz.de/!394546/ (letzter Zugriff: 10.10.2017).)) Die Lage scheint anders, als die Medien urteilen. Dagobert lacht zwar (fast) nie, auch wenn man u. a. in einer 22-minütigen Dokumentation seiner Plattenfirma meint, er müsste jeden Moment in schallendes Gelächter ausbrechen – und tatsächlich gibt es ein paar Mal sehr harte Cuts, die als Folge solche Ausbrüche notwendig gewesen sein könnten.((Vgl. Dagobert – Dokumentation, von Alejandro Bernal Rueda: https://www.youtube.com/watch?v=knLzU62dYq4 (letzter Zugriff: 10.10.2017).)) Auch in den inoffiziellen Transkripten seiner Songs, die durchs Netz geistern, scheint die Ironie ‚dokumentiert‘, indem die Vokale in der Verschriftlichung ins schier Unendliche gedehnt werden. Abgesehen davon, dass in Dagoberts Texten u. a. ein Protagonist das Ende des Kriegs beschwört, um wieder Angeln gehen zu können.((Vgl. Dagobert: Angeln, aus dem Album Afrika, Buback (Universal Music) 2015; natürlich ist hier aber ein ‚privater‘ Krieg auf Beziehungsebene gemeint.))
Dagobert – und andere – könnte(n) also genauso gut eine fast dadaistisch anmutende oder genauer: kynische bzw. zynische Variante des Schlagers sein, zu dem eine formale Zuordnung jedenfalls zulässig scheint. K/zynische Kunst wird von Peter Sloterdijk mit Blick auf den Dadaismus als Lehre des Bluffs beschrieben.((Vgl. Peter Solterdijk: Kritik der zynischen Vernunft, Frankfurt am Main 1993, S. 711–733, bes. S. 729. Vgl. auch Michel Foucault: Der Mut zur Wahrheit, Frankfurt am Main 2012, Vorlesung 5, S. 233–251.)) Dadaisten erklärten sich auf ironische Art und Weise mit dem Schlimmsten einverstanden, um eben dieses darin ironisch zu kommentieren und zu dominieren. Dagobert könnte also angesichts des Stumpfsinns (und durch großelterliche Familientreffen gebeutelt, bei denen Heino und Co. ganz ernst gemeint und heiß geliebt aus den Boxen schallerten, möchte ich hinzufügen: des Wahn- und Schwachsinns) resignieren (oder auch angesichts der eigenen anfänglichen Erfolglosigkeit), kurzerhand den Habitus von Schlagermusik adaptieren, sich quasi mit dem Schlimmsten einverstanden erklären und diesen dabei ganz im Sinne Boris Groys ‚defunktionalisieren‘,((Vgl. Boris Groys: On Art Activism, in: e-flux Journal 56/2014: http://www.e-flux.com/journal/56/60343/on-art-activism/ (letzter Zugriff: 10.10.2017).)) um in Hipster-Manier vorzuführen, dass Schlager überholt und absurd ist.
Aber ist das nun zulässig? Christy Wampole, Literaturwissenschaftlerin an der Princeton University, hat sich besonders vehement gegen die Ironisierung des Lebens gewandt und die Uneindeutigkeit zum Problem gemacht. In einem Interview führte sie vor ein paar Jahren pikiert aus: „Es ist eine Form der Selbstimmunisierung. Wer seine Meinung dauernd in Ironie hüllt, kann dafür schlecht angegriffen werden. Ich habe schon oft beobachtet, dass Ironiker, wenn sie miteinander sprechen, kaum noch verstehen, was der andere eigentlich meint. […] Es ist so anstrengend.“((Was ist so anstrengend an der Ironie, Frau Wampole?, in: Spiegel 11/2013: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-91464858.html (letzter Zugriff: 10.10.2017). Vgl. auch Susan Sontags Verhältnis zu Camp: Susan Sontag: Notes on ‚Camp‘, in: Essays of the 1960s and 1970s. Hg. von David Rieff. New York 2013, S. 10–20.)) Und sie klagt weiter, dass man als ewig ironische Person die Verantwortung abgebe, ein Schutzschild gegen Kritik aufbaue – übersieht dabei aber, dass es zu viel unbegründet Kritik in der Welt gibt. Warum interessiert es Wampole z. B., ob Hipster ihre Hemden mit Mustern wie jenen auf Bussitzbezügen oder Einrichtungsgegenstände aus alten Holzpaletten schön finden?((Und damit impliziert sie, dass es nur einen zulässigen Geschmack gibt.)) Genau dagegen wendet sich ‚der Hipster‘ doch, so hoffe ich: gegen den Eingriff anderer ins eigene Leben. Die Uneindeutigkeit ist dabei der Clou – und das mag auch für Dagobert gelten.
In seinem Fall wären die Zuweisungen der Medien daher zu einfach gedacht, geht es dem ironischen Moment doch gerade darum, dass er in seiner Unentscheidbarkeit besteht, im stetigen Zweifel, der keine Entscheidung (auch keine Entscheidung für die Ironie) zulässt. Deshalb ist es auch problematisch, wenn jemand einem ironischen Kommentar hinzufügt, dass dieser nur ironisch gemeint sei. Denn gerade der Moment des nicht-sicher-Seins fordert doch heraus und ‚aktiviert‘ (im Sinne Christoph Schlingensiefs und Co.). Auch wenn das Bedürfnis, Dagobert kategorisieren zu wollen, um ihn nicht als Schlager definieren zu müssen und so seinen eigenen Musikgeschmack zu verteidigen, natürlich leicht verständlich ist.
Man könnte wie Wampole meinen, Unverbindlichkeit beschere einem ein einfaches Leben, aber es ist auch eines am Rande des innerlichen Wahnsinns. Denn man kann sich seiner eigenen Stellung niemals ganz sicher sein; die Interpretation hängt auch an den Betrachter_innen. Wenn Schlagerfans Dagobert als Schlager lauschen und mögen, während Hipster_innen ihn als ironische Neuauflage des Schlagers und subversives Moment hören, drohen sie zu einer ununterscheidbaren Masse zu verschwimmen. Ironie bleibt eben ein „risky business“.((Vgl. Linda Hutcheon: Irony’s Edge: The Theory and Politics of Irony. London 1995. S. 9.)) Und natürlich bleibt die Frage, ob ironischer Schlager letztlich ‚weniger Schlager‘ ist – oder doch gar der ‚bessere‘ Schlager.
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