Schlager ist Schlager ist Pop?

23. Oktober 2017 - 2017 / Allgemein / tontext

Der deutsche Schlager. Ästhetik, Medialität, Semantiken – der Titel dieser Tagung, die vorletzte Woche in Münster stattfand, verspricht auf den ersten Blick ein geschlossenes Bild. Doch spätestens die im Plural gesetzten Semantiken sollten die Zuhörer_innen stutzig werden lassen. Offenbar bringt das Bild vom Schlager eine Vieldeutigkeit mit sich, die nach einer neuen Rahmung verlangt – und auch fragt: Gibt es den einen Schlager überhaupt?

Um die Antwort vorweg zu nehmen: Nein. Sicher, es gibt eine mehr oder minder konkrete Vorstellung davon, wer und was Schlager ist, doch haben die Vorträge und Diskussionen auf der Tagung gezeigt, dass es durchaus differente Ansichten über Zugehörigkeiten gibt. So rückte Christoph Jacke (Paderborn) beispielsweise den deutschen Musiker Bernd Begemann in die Nähe des Schlagers und plädierte im selben Zug für eine Nicht-Trennung von Schlager und Pop. Moritz Baßler (Münster) hingegen sieht den Schlager als „das Böse im System des Pop“, er sei seit den 1960er Jahren eine Restkategorie, die durch den Einfluss der englisch-sprachigen Rock- und Pop-Musik entstand. In dieser Kategorie sammelte sich, so Baßler, ein Publikum, welches nicht dem Bildungsbürgertum der Hochkultur oder den Pop-Rezipient_innen angehört, sowie Themen wie Heimat, Identität usw. Gordon Kampe (Essen) hob in seinem Vortrag das Pathos des Schlagers hervor. Diesen sieht er vor allem in einem nostalgischen Modus der Erinnerung. Schlager seien zugleich Teil der Erinnerung an sich, fungierten aber ebenso als Trigger – hört man einen bestimmten Schlager in einem anderen Kontext, stellt sich trotzdem die Erinnerung an eine Begebenheit ein. Doch der Schlager stiftet nicht nur auf diesem Weg Identität und Zusammenhalt. Rainer Moritz (Hamburg) legte in seinem Vortrag über lautmalerische Elemente im Schlager dar, wie die Lieder sich durch teilweise gar leitmotivisch eingesetzte Motive und Melodien in die Köpfe ihrer Rezi-pient_innen geradezu einbrennen (Der Beweis folgte prompt beim Anspielen einiger Songs wie Marmor, Stein und Eisen bricht von Drafi Deutscher). Nach Moritz geht bei Liedern dieser Art eine Bedeutungsentfernung bzw. ein Bedeutungsverlust mit dem Einsatz lautmalerischer Elemente einher, denn teilweise sei Lautmalerisches in keinster Weise mehr zu deuten. Und ist das Lautmalerische vielleicht gar als ironischer Kommentar auf teilweise sinnentleerte Schlager-Texte zu verstehen?

Sowieso war die Ironie oder die Ironiefähigkeit des Schlagers einer der zentralen Diskussionspunkte. Es geht um die Frage, wie man den Schlager lesen und rezipieren kann. Hannah Zipfel und Anna Seidel (beide Münster) warfen diese Frage gleich zu Anfang ihres Vortrags über das Verhältnis von Schlager und Punk auf – mit dem wunderbaren Titel „Holiday in Bad Münstereifel“. Bad Münstereifel: Seit Jahren Pilgerstätte für Schlagerfans, schließlich wohnt Heino dort. Am Beispiel Heino – übrigens ein anderes stetes Schlaglicht in Diskussionen – zeigten die Vorträgerinnen, dass die Fähigkeit zur Ironie durchaus (sehr) begrenzt ist. So eignet sich Heino selbst Songs der Ärzte (Junge) an, um sie in einer Johnny Cash-ähnlichen Art zu covern und durch eigenwillige Betonung den Sinn in ein Schlager-freundliches Gewässer zu lenken. Doch wenn sein Imitator „Der wahre Heino“ beinah täuschend echt im Vorprogramm der Toten Hosen auftrat, gefiel Heino das nicht mehr, sodass er den wahren Heino auf Unterlassung verklagte (und gewann). Trotz seiner Annäherung an den jeweils gängigen Pop-Style, gerade mit seinen letzten Coveralben, wird er laut Philipp Pabst (Münster) nie wirklich Pop. Denn alte Konstanten blieben selbst bei der noch so deutlichen Annäherung bestehen. Heino orientiere sich am Markt, denn heute ist gerade deutsch-sprachige Musik en vogue – im deutlichen Gegensatz zu den 70er Jahren, wo es kaum einen deutschen Markt für deutschsprachige Musik gab. Damals und in früheren Jahren wurden vor allem Songs englischer Interpret_innen gecovert (Howard Carpendale singt beispielsweise eine deutsche Version des Beatles-Song Obladi Oblada).

Die Berührungspunkte zwischen Schlager und Pop sind folglich durchaus vorhanden. Wie stark die Berührungen im Medium Film gerade in der Anfangszeit der BRD waren, zeigte der Vortrag von Hans-Jürgen Wulff (Kiel). Ab 1950 gab es eine Inflation von Schlagerfilmen, die durch das Zusammenwachsen von Musik- und Filmindustrie befeuert wurde. Dabei wurde mit dem Musikfilm – ein Zusammenschluss der Genres Heimat- und Schlagerfilm – sogar ein neues Genre geschaffen. Der Schlager steht hier im Mittelpunkt der Handlung. Diese Entwicklung wurde jedoch durch den Neuen Deutschen Film zumindest abgemildert. Dennis Gräf (Passau) führt aus, dass in dieser neuen jungen Bewegung dem Schlager neue/andere Funktionen zugekommen seien. Der Schlager werde Figuren zugeordnet, er diene zur Ironisierung, er ist Verdrängungsmechanismus. Er bekommt eine eskapistische Funktion zugeschrieben – sicherlich eine Funktion, die ihm auch heute noch innewohnt – und er perspektiviert Werteordnungen. In Peter Zadeks Ich bin ein Elefant, Madame wird Freddy Quinns Wir eingesetzt, um Schüler- und Studentenproteste systematisch aus Sicht der Elterngeneration zu diffamieren.

So heterogen wie die Betrachtungsfelder ist der Schlager selbst. Einheitliche Positionen festzumachen, erwies sich als schwierig, was sicherlich auch den unterschiedlichen Gegenständen geschuldet ist. Dennoch hat die Tagung wichtige und notwendige Fragen aufgeworfen, die in Zukunft genauer betrachtet werden sollten. Hier sind Stichworte wie Ironie, Authentizität oder das Verhältnis zum Pop zu nennen.

Wie der Neo-Schlager – sofern es ihn denn gibt – mit den genannten und anderen Aspekten umgeht, soll durch eine in den kommenden Wochen hier veröffentlichte Artikelreihe gezeigt werden.

Hendrik Günther

› tags: Eskapismus / Heino / Ironie / Ironiefähigkeit / Neo-Schlager / pop / Punk / Schlager / Schlager-Tagung / Schlagerfilm /

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