
Frisch von der Messe: derb, nachdenklich und volle Lotte Pop.
27. Oktober 2016 - 2016 / Allgemein / texttext
Titelfoto: © Kulturproleten
derb
Ich stehe in der Messebuxe vom Verbrecher Verlag und lese ein Gedicht. Ein schönes Buch, sagt die junge Verlagsfrau neben mir mit weicher Stimme und lächelt mich an. Ich schlage das Buch zu und blicke noch einmal auf den Titel. Fotzenfenderschweine. Ja, sage ich belegt und lächle zurück.
Wenn ein Buch eine saftige Seemannsbeleidigung auf dem Cover trägt, dann muss nach dem Schmutztitel (haha, ein Buchwissenschaftlerinnenwitz) schon was nachkommen, dann darf der Inhalt an Intensität nicht hinten anstehen. Vor dem Buch Fotzenfenderschweine von Almut Klotz wurde in den Medien aufgrund des provokanten Titels ausdrücklich gewarnt, ehe die entsprechende Redaktion einen Blick auf den Inhalt geworfen zu haben schien. Was sie dort gefunden hätte, strotzt vor Intensität ebenso wie vor unzähligen weiteren Kraftausdrücken – aber eben auch vor Herzensklugheit und handfester Liebe. Die Autorin und Mitbegründerin der Band Lassie Singers aus den 90ern erzählt von ihrer Beziehung zu Christian Dabeler. Der ist einer dieser Kerle, die alles und jeden lautstark und rabiat als Mainstream und/oder dumm abtun. Der dann aber auch am Fluss stehen kann und das Idyll aus Wasser und Entenfamilie mit Pipi in den Augen und einem empfindsamen “Hier hat der liebe Gott hingeschissen“ durchaus zu schätzen weiß. Frei nach Liebe wird oft überbewertet findet man hier weder Kitsch, noch Künstler-Boheme-Heimeligkeit, sondern zwei exzentrische Menschen, die sich sowohl miteinander als auch aneinander abarbeiten. Almut Klotz konnte den Text nicht beenden, nach ihrem Tod übergab ihr Partner ihn fragmentarisch und so wie er war dem Verbrecher-Verlag. Der veröffentlichte und verteidigt ihn heute samt Titel.
Almut Klotz: Fotzenfenderschweine. Verbrecher Verlag, 19,90€.
nachdenklich
Menschliche und etwas skurrile Abbildungen von Gott haben wir in diesem Kulturjahr schon erlebt. Als garstiger alter Mann kam Gott mit Jaco Van Dormaels Komödie Das brandneue Testament in die Kinos. In Axel Hackes neuem Roman taucht Gott wieder als alternder Herr auf. Doch dieses Mal ist es ein freundlicher Gott. Nur traurig ist er, weil in seiner Schöpfung so viel Mist passiert. Hackes Gott sucht seinen Trost sowohl im Champagner als auch bei den Menschen, seiner Schöpfung selbst, und kann so dem Protagonisten begegnen, wodurchdie Geschichte entsteht.
Ein bisschen versucht Axel Hacke in seinem neuen Roman, die ganzen großen Fragen zu verhandeln, die man angesichts von Gewalt und Schrecken an eine Gottes- und Schöpferinstanz mit sich herumtragen könnte. Dass Hacke auch Kolumnist ist, bei dem Magazin der Süddeutschen Zeitung nämlich, kommt ihm dabei zugute – die ach so großen Fragen lassen sich leicht, aber klug lesen. Es kann die Gefahr bestehen, dass die ewige Frage nach dem Übel dieser Welt dabei ins Lapidare abrutscht – aber vielleicht tut das dem Übel dieser Welt ja mal ganz gut.
Axel Hacke: Die Tage, die ich mit Gott verbrachte. Kunstmann Verlag, 18€.
volle Lotte Pop
Thomas Meinecke hat sich ganz dem Pop verschrieben. Er macht sowohl Musik als auch Literatur und beidem lässt sich mit Fug und Recht das Motiv des Sampelns zuordnen. Ob Meinecke auflegt oder schreibt, was am Ende rauskommt, enthält neben einem zünftigem Anteil ‘Thomas’ auch eine Vielzahl an Querverweisen und Zitaten aus Pop-Kultur und -Wissenschaft. Vor allem die Genderforschung lässt Meinecke dabei nicht los. Auch die Mode, ein weiteres Steckenpferd des Allround-Mannes hat ihren Weg in seinen neuen Roman Selbst gefunden. Dort fungiert Mode vor allem als Kommunikationsplattform auf der nicht zuletzt Geschlechterkonstruktionen verhandelt werden. Im Fokus stehen dabei drei junge Frankfurter, die Mode und Sexualität auf praktischer wie auf theoretischer Ebene verarbeiten und reflektieren.
Was nun unter dem Titel Selbst erscheint, liest sich dank aller Zitate streckenweise etwas sperrig. Hat aber immer noch eine Menge Pop und wird so zur gewitzten Auseinandersetzung mit brisanten Diskursen.
Thomas Meinecke: Selbst. Suhrkamp Verlag, 25€.
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