Die Eric Clapton ‚Brownie‘ Tribute Stratocaster – eine Konsumrezension
31. August 2016 - 2016 / Allgemein / soziotext / tontext
In seiner Konsumrezension widmet sich unser Gastautor Christian Dömer dem Gebrauchs- und Fiktionswert der Eric Clapton ‚Brownie‘ Tribute Stratocaster.
Gegner des für moderne westliche Gesellschaften typischen Konsumismus und der damit unweigerlich verbundenen Produktwerbung sind sich einig: Eine Ware sollte nur zu dem Preis verkauft werden, der ihrem tatsächlichen Gebrauchswert entspricht. Alles andere sei vorsätzliche Täuschung der Konsument_innen, die von trickreichen Werbemaßnahmen belogen und dadurch gleichsam zum Kauf einer Ware getrieben werden, deren Preis völlig überzogen ist.
Das ‚sweet peach‘-Feeling
Bei der soeben skizzierten Ansicht bleibt allerdings unberücksichtigt, dass Warenkonsum und Werbung andererseits immer auch zugleich Kulturtechniken sind, die uns als Konsument_innen in die Lage versetzen den gleichförmigen Alltag subtil auszugestalten und differenzierter wahrzunehmen. Dass eigentlich ausnahmslos alle gegenwärtigen Duschgels nicht nur eine Reinigungsfunktion – also einen Gebrauchswert – haben, sondern darüber hinaus mit (fiktionalen) Eigenschaften attributiert sind, die dem Shampoo ein je dezidiertes Flair beimessen – einen Fiktionswert also – kommt nicht von ungefähr, da es Produzent_innen und Konsument_innen ein weites Möglichkeitsfeld eröffnet: So wird man durch die Benutzung seines liebsten Duschgels nicht nur sauber, sondern kommt gleichsam in den Genuss der in der Werbung oder auf der Verpackung versprochenen Fiktionswerte. Diese sorgen dafür, dass wir uns wahlweise ‚glamorous‘, ‚relaxed‘, ‚powerful‘, oder eben wir ein ‚sweet peach‘ fühlen können – ein wenig Imaginationsvermögen freilich vorausgesetzt.
Insofern werden Konsumgüter auf unterschiedliche Weise mit kulturellen Bedeutungsfacetten aufgeladen, derer sich die Konsument_innen durch (un-)bewusste Produktauswahl und -benutzung bedienen können. Doch auch völlig andere Produkte als Shampoos können und werden beispielsweise über Verpackung und Werbung mit attraktiven Fiktionswerten ausgestattet – in diesem Beitrag soll darum der Blick auf eine Gitarre gerichtet werden, die auf ihrem Weg durch die (Rock-)geschichte einen der prägendsten Gitarristen des frühen bluesorientierten Psychodelic-Rock begleitete und dessen Sound prägte.
‚Eric Clapton in Anführungsstrichen‘
Am 24. Juni 1999 wurde Eric Claptons ‚Brownie‘ für wohltätige Zwecke zum Preis von 450.000 $ versteigert –Weltrekord! ‚Brownie‘ ist der Spitzname einer Gitarre. Genauer gesagt einer braunen Fender Stratocaster, die Clapton zwischen 1970 und 1999 regelmäßig bei seinen unzähligen Auftritten gespielt hat. 2013 ehrte die Firma Fender dieses legendäre Instrument mit der auf weltweit 100 Stück limitierten Eric Clapton ‚Brownie‘ Tribute Stratocaster. Der Preis lag bei 14.999 €.
Bei dieser äußerlich recht unauffälligen Gitarre geht es nicht nur um die Imitation der akustischen Qualitäten eines außergewöhnlichen Künstlers und seines außergewöhnlichen Instrumentes: Die ‚Brownie‘ Tribute Stratocaster ist in ihrem Dasein als Konsumgut mit kultureller Bedeutung aufgeladen. Diese wird durch unterschiedliche Rituale aus der Gitarre extrahiert und auf die Besitzer_innen transferiert. Das heißt: Durch den Besitz, die Benutzung und die Pflege der ‚Brownie‘ Tribute Stratocaster können sich Käufer_innen systematisch mit Bedeutungen, Eigenschaften und Fiktionalisierungen ausstatten, die untrennbar mit der Ikone Eric Clapton verbunden sind. Auf diese Weise kann sich jede Besitzer_in einer ‚Brownie‘ Tribute Stratocaster als ‚Eric Clapton in Anführungsstrichen‘ inszenieren und selbst kreieren.
Die ‚Brownie‘ zwischen 1956-1970
Die originale ‚Brownie‘ stammt aus dem Jahr 1956 – das Jahr, in dem der Rock seinen Anfang nahm, Carl Perkins seine Hitsingle Blue Suede Shoes vorstellte, Elvis Presley sein Heartbreak Hotel besang und Little Richard Long Tall Sally kreischte. Claptons Vorliebe für Stratocaster-Gitarren begann mit den Pionieren der 1950er: Buddy Holly und Buddy Guy. Beide spielten Stratocaster-Gitarren, deren Klangqualitäten Clapton besonders ansprachen, wobei vor allem Letzterer gleichzeitig Claptons musikalische Palette um den amerikanischen Blues erweiterte – dem er bekanntlich bis heute treu geblieben ist. Im Jahr 1967 kaufte sich Clapton in London schließlich seine ‚Brownie‘, die hauptsächlich aus zwei Gründen bedeutsam ist: Zum einen war sie Claptons erste Stratocaster überhaupt – Aufgrund dieser Tatsache repräsentiert sie seine Abkehr von den Gitarren der Firma Gibson aus den Zeiten mit John Mayall, Cream, den Yardbirds und anderen aus den 60er Jahren und zugleich seine Hinwendung zu den Gitarren der Firma Fender, mit denen er seit jenen Tagen in enger Beziehung steht. Zum anderen ist es genau diese Gitarre, die er auf seinem Solo-Debütalbum Eric Clapton von 1970 spielt, das allgemein als sein berühmtestes Album und seine musikalische Höchstleistung gilt, sowie auf dem Album Layla and Other Assorted Love Songs von Derek and the Dominos, ebenfalls von 1970.
2013 schließlich stellte der Fender Custom Shop mit der Eric Clapton ‚Brownie‘ Tribute Stratocaster eine originalgetreue Nachbildung von Claptons erster Strat vor, die nach umfangreichen Untersuchungen an der echten ‚Brownie‘ in sorgfältigster Verarbeitung gefertigt wurde. Diese nicht vom Original zu unterscheidende ‚Brownie‘ Tribute Strat versetzt ihre Besitzer_innen auf mehrfache Art und Weise in andere Zeiten: Einerseits zurück zu den Ursprüngen der Rockmusik in die bluesorientierten 1950er, andererseits in die einschneidende Phase in Claptons Leben und Schaffen, in das Jahr 1970. In diesem Sinne konserviert sie Meilensteine der Rockgeschichte und transportiert diese als Fiktionalisierungen bis ins Jahr 2015.
Zu ihren unverkennbaren Merkmalen gehören das der Originalfarbe entsprechende Sunburst-Design und die künstlich gealterten Tonabnehmer mit dem typischen Soundcharakter von 1956. Oberfläche und Metallteile tragen deutliche Gebrauchsspuren und sind damit ein exaktes Abbild der Originalgitarre, wobei selbst kleinste Scharten, Kratzer, Dellen, Brandstellen von Zigaretten und andere Details originalgetreu kopiert werden. Obendrein wird die Gitarre in einem ausgefallenen schwarzen Koffer aus strukturiertem Vinyl mit der Aufschrift ‚Fragile‘ geliefert – getreu den Zeiten von Derek and the Dominos. Dieser Koffer verbirgt zusätzlich noch eine Reihe von Extras, darunter ein nummeriertes Echtheitszertifikat mit Claptons eigenhändiger Unterschrift, die 40th Anniversary Deluxe Edition des Albums Layla and Other Assorted Love Songs, ein Buch zur Geschichte der Firma Fender mit zahlreichen Fotos sowie eine Broschüre zu Claptons Projekt Crossroads in Antigua, das sich drogen- und alkoholabhängigen Menschen verschrieben hat. Diese detailgetreuen Nachbildungen werden so zu aufwendigen Bestandteilen der Produktfiktionalisierung.
Doch was macht den Reiz einer Gitarre aus, die nach allen rationalen Maßstäben und mit Blick auf qualitativ vergleichbare Modelle schlichtweg als überteuert erscheinen muss?
Skeptiker_innen dürften an dieser Stelle den faden Beigeschmack von Konsumkritik erkennen: Wenn sich die ‚Brownie‘ Tribute Stratocaster qualitativ doch nur marginal von vergleichbaren Modellen unterscheidet, dann kann es sich hier doch nur um eine intendierte Täuschung der Konsument_innen handeln – zur ausschlaggebenden Kaufsentscheidungskomponente wird dann der Schein der Ware, das einzige Ziel ist ihr gewinnbringender Verkauf.
Da es nur 100 Exemplare dieses Modells weltweit gibt, die im Übrigen schon lange vergriffen sind, erklärt sich die Anziehungskraft der ‚Brownie‘ Tribute Stratocaster unter anderem über ihre Exklusivität: Wer trotz der massiven Limitierung in den Besitz eines dieser Exemplare gelangt ist, darf sich glücklich schätzen, da sie oder er vom Wald- und Wiesengitarristen zum Dandy der Gitarrenwelt aufgestiegen ist und durch massive Individualisierung Aufsehen erregt.
Wer ernsthaft in Erwägung zieht sich eine ‚Brownie‘ Tribute Strat zuzulegen, den faszinieren jedoch auch noch andere Aspekte. Es geht um bestimmte Verheißungen an die potentiellen Käufer_innen, die über den bloßen Gebrauchswert einer oberklassigen Gitarre hinausgehen: Die ‚Brownie‘ Tribute Strat besticht durch ihre gelungene Fiktionalisierung, die im Bereich der Musikinstrumente ihresgleichen sucht. Wer eine dieser Gitarren in den Händen hält, dessen Imaginationsvermögen wird in ganz besonderer Weise angeregt: Verkabelt mit einem alten Verstärker erklingen Töne, die aus einer vergangenen Zeit stammen. Beim Blick herunter auf das Instrument erkennt man die unzähligen Gebrauchsspuren einer lebenden Legende – wenn dann noch die eigene brennende Zigarette in die von Brandspuren (vor-)gezeichnete Kopfplatte gesteckt wird, ist die claptonesque Erscheinung vollendet. Die Atmosphäre der goldenen Ära des Rocks umgibt dieses Instrument und zwingt zum Eintauchen. Auch mittelmäßig begabte Musiker entlocken dieser Gitarre den unverwechselbaren Layla-Sound – Mr. Slowhand höchstpersönlich manifestiert sich in diesem Instrument.
Der Kauf einer ‚Brownie‘ Tribute Stratocaster verspricht und vollzieht zugleich die Initiation in die Kultgemeinschaft um die Ikone Eric Clapton – und geht damit weit über profanes Besitzstreben hinaus. Trotz ihres hohen Preises fungiert sie kaum als ein Statussymbol für ihre jeweilige Besitzer_in, da sie dafür schlicht zu unauffällig ist: Wer sich nicht gerade für einen Kenner der Gitarrenszene hält, dem wird es schwerfallen die ‚Brownie‘ Tribute Stratocaster überhaupt von einer anderen Stratocaster zu unterscheiden. So entwickelt sich eine exklusive Subkultur heraus, die nicht jedem zugänglich ist – und auch nicht sein soll. Nur einhundert Personen auf dieser Welt gehören dieser Gruppe an und dürfen sich dadurch beruhigt zu den ‚puren‘ fünf Prozent der Musikwelt zählen:
The music scene as I look at it today is little different from when I was growing up.
The percentages are roughly the same – 95 percent rubbish, 5 percent pure.
– Eric Clapton.
- Die Eric Clapton ‚Brownie‘ Tribute Stratocaster – eine Konsumrezension - 31. August 2016
Selten so einen Schwachsinn gelesen.