Fremdgehen in den 1960er Jahren
29. April 2016 - bildtext / soziotext
Wenn Menschen fremdgehen, ist das Schmerzhafte für die Betrogenen oft nicht der Akt an sich, sondern dass ihr Vertrauen missbraucht wurde. Diese sehr flache und mit Leiden aufzufüllende Floskel gilt natürlich für jede beliebige Beziehungskonstellation und ist unabhängig von den Rollenverteilungen. Das Popmagazin „Twen“, welches in der Bloghauptstadt Münster im Pop-Archiv des Germanistischen Instituts gesammelt wird, greift in den 1960er Jahren genau dieses Thema auf: Es befragt (männliche) Leser nach ihren Erfahrungen mit dem Fremdgehen. Mit dem Befund, dass Männer mit zweierlei Maß messen und Frauen dabei nicht die gleichen Rechte wie sich selbst zugestehen. Tatsächlich erklärt sich kein einziger der befragten Männer mit einem Seitensprung seiner Frau/Freundin einverstanden. Nicht nur das: Einer der Befragten lässt sich sogar zu der Aussage hinreißen, er würde seine Freundin aus Liebe zu ihr betrügen. Interessant ist nun nicht dieser Befund, sondern der Kontext, in dem die “Twen” diesen Artikel ankündigt und präsentiert: Nach dem Inhaltsverzeichnis findet sich nämlich ebenjenes Bild mit entsprechendem Ankündigungstext – und der hat es in sich:
„Wir meinen, es sieht schlecht aus um Männer, die nicht stark genug sind, freie Frauen zu ertragen.“
Das Offensichtliche ist, dass der Satz kulturell bedingte und gesetzte Attribuierungen des starken Mannes und der – autsch – freien Frauen reproduziert, die „Mann“ ertragen muss. Spannend ist, dass diese Ungleichheit schon 1967 diskutiert wurde und letztlich bis heute kein Stück weniger aktuell ist. Denn dass die Frau* ein (von außen sexualisiertes) Objekt darstellt, ist nach wie vor eine Tatsache. Und nicht nur das: Wie die Journalistin und Feministin Laurie Penny in ihren beiden Streitschriften „Fleischmarkt“ (2012) sowie „Unspeakable Things“ (2014) herausgestellt hat, werden Frauen nicht nur immer wieder über ihren Körper und ihre Sexualität kontrolliert, sondern auch über ihre Rolle als „love objects“:
„The notion of women as sex objects is understood. Just as many of us, however, spend our lives trying to mould ourselves into love objects. Almost every female protagonist, in every story written or designed by men, is a love object: a creature fabricated to fulfil a role in somebody else’s grand narrative. The love object is always a supporting character, even when she gets the most screentime.“ („Unspeakable Things“, S. 214)
Aber ob nun „sex object“ oder „love object“ – trotz des zarten Versuchs des Twen-Magazins, männliche Doppelmoral zu entlarven, irritiert die Text-Bild-Relation doch erheblich: Zum einen der moralisierende Text über ebenjene männliche Doppelmoral und zum anderen die Bebilderung dieses Textes. Denn das Paradigma hätte ja durchaus alternative Bebilderungen zugelassen, wie etwa ein Paar beim Geschlechtsakt, das Gesicht eines verschlagenen Mannes, o.ä. Stattdessen: Eine anonyme, offenbar wenig bekleidete, vielleicht gerade genießende Frau, nicht identifizierbar, ohne Identität. Ist es vielleicht eine autonome Frau, die sich von ihrem Status Quo als „sex/love object“ emanzipiert? Vollständig auflösen lässt sich das nicht.
Die Text-Bild-Relation lässt sich unterschiedlich lesen: Historisch, indem das Bild zum Text mit dem Bedürfnis der 60er- und 70er-Jahre-Popkultur nach Nacktheit, Provokation und deren Verbindung mit intellektuellem, politischem Anspruch zu tun haben mag. Vor allem Dichter und Publizist Rolf Dieter Brinkmann betonte in vielen seiner Texte die Notwendigkeit der Emphase, die auch Literaturwissenschaftler Leslie Fiedler 1968 in seiner berühmten Rede “Cross the borders, close the gap” so vehement für die Literaturkritik forderte und anschließend im amerikanischen Playboy veröffentlichte. Aber das ist es irgendwie nicht.
Viel eher erzählt die Text-Bild-Relation von der Gefahr einer jederzeit austauschbaren, nicht identifizierbaren und damit ohne eigene Identität versehenen Frau. Durch die Perspektive des „male gaze“ ist sie mehr sex/love object als eine autonome Persönlichkeit. Selbst wenn man annehmen möchte, dass es sich bei der gezeigten Frau nicht mehr um ein “sex object” handelt und diese Tatsache mit dem Artikel in einen Diskurs gebracht werden soll: Die Frau bleibt ein “love object”, das begehrte Objekt männlicher Liebe, welches im patriarchalen Kontext auch treu zu sein hat.
Die kulturhistorische Lesart könnte also so aussehen: Die Frau im Bild wird durch die Bild-Text-Relation als Bedrohung semantisiert, sie geht unerkannt fremd. Es ist das Unheimliche, das Unkonkrete, die lose Ahnung geheimen Wissens, die das Bild ausdrückt. Die vertraute Situation des Bildes, die intime, erotische Situation mit der/dem Partner_in wird zum potentiellen Vertrauensbruch und bricht in die Lebenswelt des Lesers ein. Die explizite Ausklammerung des erotischen Gegenparts ist eine geheimnisvolle Leerstelle, die mit nur wenig Fantasie gefüllt werden kann: Ist es etwa die Frau des Lesers?
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