Kino zum Unwohlfühlen – Thomas Vinterbergs „Die Kommune“

18. April 2016 - 2016 / bildtext

Obwohl man sich in Die Kommune zunächst wie in einer Komödie fühlt, bleibt der Regisseur Thomas Vinterberg seinem Stil treu. Schon nach kurzer Zeit befällt einen beim Zuschauen ein unwohles Gefühl. Ein Erklärungsversuch.

von Mina und Theresa

Auf der diesjährigen Berlinale wurde der neue Film des dänischen Regisseurs Thomas Vinterberg gezeigt: Die Kommune (Kollektivet, 2016). Vinterberg ist vor allem durch die Dogma-95-Bewegung bekannt, die er zusammen mit den Regisseuren Lars von Trier, Kristian Levring und Søren Kragh-Jacobsen gründete. 1995 unterschrieben sie ein Manifest, das die Produktion ihrer Filme regelte – 2008 wurde das Projekt mit dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet.

Zu den populärsten Filmen Vinterbergs zählen Das Fest (Festen, 1998), der erste Dogma-Film, und Die Jagd (Jagten, 2012). Ganz gleich ob Dogma oder Nicht-Dogma, Vinterbergs filmische Vorliebe, die Schonungslosigkeit gegenüber seinen Figuren und den Zuschauer_innen, kommt in all seinen Werken deutlich zum Vorschein – so auch in seinem neusten Film Die Kommune. Er hat es sich zum Auftrag gemacht, seine Figuren und mit ihnen die Zuschauer_innen in unangenehme, geradezu unerträgliche Situationen zu versetzen und sie zum Aushalten ebendieser zu zwingen. Die konstante Spannungssteigerung, die einen bis zum Siedepunkt und noch weiter drängt, entspricht auf formaler Ebene dem dramatischen Aufbau der Handlungen. Nur kurz wird man von der Idylle des Settings – Familie, Dorf, Kommune – getäuscht, bis man erkennen muss, dass Vinterberg diese pittoreske Atmosphäre nutzt, um die Durchschlagskraft der dramatischen Wende zu verstärken.

Die Konflikte, die in seinen Filmen verhandelt werden, beleuchten die Problematiken zwischenmenschlicher Beziehungen und reichen von Alltäglichkeiten bis in die Abgründe der Gesellschaft: Als sich zum Beispiel die Figur Ole in Die Kommune an der Unordentlichkeit eines Mitbewohners stört, ist seine Art der Konfliktbewältigung, dessen Gitarre zu verbrennen. Der Konflikt in Das Fest reicht hingegen tiefer: Vater Helge wird von seinem Sohn Christian vor der gesamten Familie beschuldigt, ihn und seine Schwester missbraucht zu haben. Der langsame Spannungsaufbau wirkt auf Figuren und Zuschauer_innen gleichermaßen paralysierend. Die Lähmung resultiert in einer Verdrängung der Wirklichkeit, die handlungsunfähig macht und sprachlos zurücklässt. Die sich langsam zuspitzenden Konflikte erreichen ihren Höhepunkt in einer Konfrontation, die zu verstörenden Situationen führt, aus denen es kaum ein Entkommen gibt.

Das wichtigste Hilfsmittel zur Umsetzung des ausweglosen Plots ist die Irrationalität, die sowohl bei der Figurencharakterisierung als auch beim Handlungsverlauf an sich eine entscheidende Rolle spielt. Ganz im Sinne der Dogma-Tradition verhindert Vinterberg durch die ambivalente Charakterdarstellung eine Identifikation mit den Figuren. In Das Fest erscheint der Hotelier und Patriarch Helge zunächst freundlich, gutmütig und lustig, nur um kurze Zeit später des Missbrauchs an seinen Kindern beschuldigt zu werden. Der Topos der Irrationalität erstreckt sich jedoch nicht allein auf die widersprüchliche Konstruktion der Figuren, sondern entfaltet seine volle Wirkungskraft vor allem in deren Entscheidungsfindung. Insbesondere in Die Kommune können die Zuschauer_innen mitverfolgen, wie Vinterbergs Figuren eine verheerende  Entscheidung nach der anderen treffen.

„So weit ist es gekommen“

Kopenhagen in den 1970ern: Eine Villa inmitten eines über viele Jahre gewachsenen Gartens ist es, die das Ehepaar Erik und Anna vor die erste Entscheidung stellt. Sollen sie oder sollen sie nicht? Einziehen. Erik hat das Haus geerbt, doch findet er es für sich, seine Frau Anna und die gemeinsame Tochter Freja zu groß – die beiden Frauen sind anderer Meinung. Vor allem Anna sieht das Haus als Chance für einen Neuanfang: ein liberales Leben in einer Kommune. Schließlich gelingt es ihr doch, den zweifelnden und weit konservativer denkenden Erik zu überzeugen. Anna hat auch schon Ideen für geeignete Mitbewohner: Ole, die alt gewordene Inkarnation des Rock’n’Roll-Lifestyle, zieht als Erster ein. Die Nächsten sind Ditte und Steffen mit ihrem herzkranken Sohn Vilads. Sie haben bereits Erfahrung mit dem Leben in einer Kommune und sind eine gute Ergänzung der Wohngemeinschaft. Weiter gecastet werden der sensible Allon und Mona, die eine angemessene Portion Woodstock-Chic in die WG bringt.

Die Entscheidung von Anna und Erik, ihr Zuhause mit diesem bunten Haufen zu teilen, wirkt mutig. Dass Ole einmal Annas Jugendliebe war, Allon nur aus Mitleid aufgenommen wurde und Ditte immer alles besser weiß, scheint zunächst nur die Zuschauer_innen zu stören. Zumindest kann das muntere WG-Leben beginnen. Es wird ausgelassen gefeiert, gemeinsam nackt ins Meer gesprungen, am großen Esstisch gegessen. Schwierigkeiten und Konflikte werden schnell gelöst und Entscheidungen demokratisch getroffen. Das Zusammenleben mit den Mitbewohnern ist friedlich, beruflich gehen Anna und Erik ihren Karrieren nach. Anna arbeitet erfolgreich als Nachrichtensprecherin und hat durch ihre TV-Präsenz in Kopenhagen einen gewissen Bekanntheitsstatus. Erik lehrt als Architektur-Professor an der Kopenhagener Universität und wird von seinen Studierenden geschätzt.

In einem seiner Seminare lernt er die attraktive Studentin Emma kennen und verliebt sich in sie. Nach einiger Zeit beichtet Erik Anna die Affäre – ausgerechnet nach dem Sex mit ihr. Doch entgegen den Erwartungen reagiert Anna in dieser Situation gefasst. Sie glaubt sich stark genug und schlägt vor, Emma in die Kommune einziehen zu lassen. Ungläubig sehen die Zuschauer_innen mit an, wie Annas Vorschlag in die Tat umgesetzt wird. Kann das … Nein! Das kann nicht gut gehen.

Wie bereits in Das Fest und Die Jagd gelingt es Vinterberg auch in Die Kommune, die Zuschauer_innen durch die irrationalen Entscheidungen der Figuren zu quälen. Langsam, aber sicher befällt so nicht nur Anna ein Gefühl von Demütigung und Verzweiflung, sondern auch die Zuschauer_innen ein Gefühl des Unwohlseins – und es muss ihnen wehtun, mit anzusehen, wohin das führt. Nach dem Film fühlt man sich wie nach einer Achterbahnfahrt: Die Spannung löst sich, aber das mulmige Gefühl bleibt.

Ab Donnerstag, 21. April, läuft Die Kommune im Wochenprogramm der Kurbelkiste Münster.

Trine Dyrholm erhielt für ihre Darstellung der Anna auf der Berlinale 2016 den Silbernen Bären.

Theresa Langwald
Mina Janoschka
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› tags: Die Kommune / Film / Kollektivet / Thomas Vinterberg / Unwohlsein /

Comments

  1. usi sagt:

    Gute Einführung in den Film. Werden wir uns wohl im Programmkino anschauen, sobald er angeboten wird. Usi.

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