Die Sache mit den Zombies. Zu Peter Kümmels Kulturkritik

8. Januar 2016 - texttext

Am 07.12.2015 erhielt Peter Kümmel für seinen Artikel „Sie sprechen nicht zu uns“ den Deutschen Reporterpreis 2015 in der Kategorie ‚Beste Kulturkritik‘. Ein Ereignis, das mich entweder an der Vergabepolitik des Preises oder aber an meiner eigenen Auffassung über einen guten Artikel zweifeln lässt. Ohne Frage bevorzuge ich die erste Variante.

Vielleicht fangen wir mit meinen Erwartungen an, wenn ein Artikel als ‚Beste Kulturkritik‘ im deutschen journalistischen Schaffen des letzten Jahres ausgezeichnet wird. Kritiken fußen teils immer auf subjektiven Meinungen, Geschmäckern, und man kann deswegen mit ihnen übereinstimmen oder auch nicht. Natürlich müssen sie aber als Werk journalistischen Arbeitens versuchen, diese Meinungen objektiv zu unterfüttern, ihnen eine fundierte Argumentationsstruktur geben, welche folglich über die Qualität der Kritik entscheidet. Schließlich handelt es sich um eine Kulturkritik und es wird somit ein Phänomen des kulturellen Schaffens betrachtet.

Kümmel versucht nun genau dies zu gestalten, scheitert meiner Meinung nach aber an der Argumentationsstruktur. Es werden in seinem in der ZEIT erschienenen Artikel schnell zwei Themen erkenntlich: zum einen seine Beobachtung einer Zunahme von Theaterinszenierungen mit Zombies, der er ablehnend gegenübersteht (die Meinung) und zum anderen ein Diskurs über die Theatertradition, mit welcher die Regisseure und Dramaturgen dieser Inszenierungen nach Kümmel brächen (die Begründung). Er beginnt seine Argumentation mit dem auf den englischen Theaterregisseur Peter Brook zurückzuführenden Doppelblick – der Unterscheidung zweier „Augen“, von denen das eine glaubt, was es sieht und das andere weiß, dass es nicht real ist, was es sieht. Er macht darauf aufbauend eine scheinbare Kluft zwischen Theater und Kino darin aus, dass man dem Theater im Gegenzug zum Kino immer weniger abnimmt, dass die Figuren echt seien, der Schauspieler dem Zuschauer quasi die Möglichkeit verwehre, ihn als real wahrzunehmen. Seine Folgerung die Figuren besonders klassischer Stücke seien dadurch unwiederbringlich verloren und dem Zuschauer bleibe nur die leere Hülse der Inszenierung, fußt also nicht auf dem unterschiedlichen Umgang mit der Reproduzierbarkeit des Moments in den unterschiedlichen Medien, sondern allein darauf, dass Kümmel annimmt, Mimesis spiele im Kino noch eine weitaus größere Rolle als im Theater. Die Unterscheidung zwischen alten Dramen und alten Filmen wirkt dabei forciert, warum sollten Filme wie Casablanca nicht auch antiquiert wirken, warum Marlon Brando nicht ebenso als Schauspieler als tot aufgefasst, bzw. die Rolle der Maria Stuart als authentisches Spiel verkörpert werden können? Kümmel liefert uns bis auf den Verweis auf Brook und der abschätzig gebrauchten Bezeichnung des Schauspielers als „Performer“ kein weiteres Indiz, worauf diese Abwertung des zeitgenössischen Schauspiels beruht und ohne freilich meinerseits seine Theatererfahrung zu haben, kann ich dieser Differenzierung einfach nicht zustimmen. Es schleichen sich in diese Argumentation, die kein Wort über die theaterhistorischen Entwicklungen des 20. Jahrhunderts (Brecht, Pirandello, Beckett, …) verliert, sondern viel mehr in einer vormodernen Theater-„Tradition“ verweilt, nach und nach Begriffe wie „Untote“ oder „gespenstischerweise“ ein, die schon auf sein zweites Thema hinarbeiten.

Wenn Kümmel dann aber in seiner Argumentation auf den Schauspieler eingeht, der im Akt des Brotschneidens bei Peter Handke sowohl die Handlung selbst erfährt als auch all jene versinnbildlicht und darstellt, die schon Brot geschnitten haben, so spricht er quasi in der Nachfolge des brechtschen Theaters. Der Mangel des bei Handke beschriebenen Gestus, den Kümmel den deutschen Schauspielhäusern attestiert, widerspricht jedoch der vorhergehenden Forderung nach Einfühlung und Authentizität, weißt er doch gerade auf die Gemachtheit und die wiederholte Reproduktion des Moments im Schauspiel hin.

Kommen wir nun zur eigentlichen Kritik: den Zombies. Bisher haben wir vor allem Theoriehinweise bekommen und wurden langsam in die abschätzige Meinung zu Gespenstern und Untoten eingestimmt. Jetzt wird ausgeholt: Nicht nur die Schauspieler werden zu Zombies, also Repräsentanten der toten Figuren, die sie (zumindest nach Kümmel) nicht mehr mit Leben zu füllen vermögen, metaphorisiert, sondern auch die Zuschauer werden durch die Inszenierungen, die oft die unausweichliche Schlechtigkeit der Wirklichkeit anprangern, in ihrer Untätigkeit gegenüber dem eigenen Verderben als Zombies deklariert. Ob sich Kümmel dabei am Zombie Begriff an sich stört, nur seinem inflationären Gebrauch oder dem engagierten Theater mit seinen Verweisen auf die gegenwärtigen Missstände, wird nicht klar. Klar wird nur, dass er Zombies nicht leiden kann (selbst die teilweise eingeräumte geniale technische Brillanz hilft den Regisseuren hier nicht weiter). Gespenster, Zombies und Zwischenwesen im Allgemeinen (komisch eigentlich, dass Kümmel nicht auch auf Derrida verweist) haben eine lange literaturwissenschaftliche Relevanz und kommen bei Ibsen und Shakespeare angefangen bis hin zu Berg oder Schlingensief regelmäßig auf die Bühne. Untote füllen die große Leerstelle zwischen den Toten und Lebenden und sorgen so für den transgressiven Moment, der für Kunst so entscheidend ist: über den bestehenden Horizont und Schubladendenken hinauszublicken. Wenn Kümmel sich eine Rückkehr zur „Tradition“ und eine Abkehr von der gegenwärtigen „Zombi-Flut“ wünscht, so fragt man sich auch, wie er sich Gegenwartstheater alternativ vorstellt und ob seine (legitimen subjektiven) Ansichten nicht genauso Überbleibsel einer längst vergangen Zeit sind.

Nachdem ich bisher versucht habe, meine Probleme beim Nachvollziehen der argumentativen Struktur Kümmels aufzuzeigen, möchte ich jetzt noch kurz darauf zu sprechen kommen, was der Text im Gegenzug zu seiner wahllosen Verknüpfung zweier voneinander getrennter Themengebiete aufweist. Wenn er eine Auszeichnung verdient hätte, so vor allem für das „name dropping“, das er in extensivem Umfang betreibt. Teils zur Unterfütterung seiner Argumentation eingeworfen, teils aber auch völlig belang- und zwecklos, referiert der belesene Autor auf: Peter Brook, Heiner Müller, Robert Musil, Orhan Pamuk, Peter Handke, Mark Fischer, Georg Simmel und Oliver Stone sowie natürlich notwendigerweise auf einige Regisseure und Inszenierungen. Fast scheint es, durch das Nennen dieser Persönlichkeiten würde Seriosität und Authentizität erzeugt werden. Im Grunde bewirkt das übertriebene Bezugnehmen auf die genannten Größen aber höchstens die Ablenkung von der unsoliden Argumentation und verschleiert die manipulative Vermengung zweier voneinander unabhängiger Themen.

Ich sehe keine zwangsläufige und für die Breite zu attestierende Verabschiedung der Einfühlung des Schauspielers in die Figur und wo diese vielleicht doch stattfindet, dann genau aus einer Theatertradition, der es wichtig war, einen ‚Doppelblick‘ zu entwickeln und mit einem „wachen Auge“ reflexiv die eigene Welt zu analysieren. Ich sehe folglich auch nicht, wieso die zugeschriebene Aufkündigung des Schauspieler-Zuschauer-Vertrags nur für das Theater gelten soll und warum daraus resultierend sowohl Schauspieler als auch Zuschauer bei Kümmel zwangsläufig Untote sein müssen. Ich sehe einfach nicht, wie diese geschickt am Anfang platzierte Begründung auch nur ansatzweise die subjektive Ablehnung der Zombie-Inzenierungen (so en vogue sie auch sein mögen) neutral rechtfertigt. Und ich frage mich schließlich: vor was hat Peter Kümmel eigentlich so Angst? Was befürchtet er von dieser Art Gegenwartstheater? „Konventionen der Blasiertheit und Ermüdung“ von dem immer selben szenographischen Topos hat schließlich nur er durch seine Argumentation und Rhetorik evoziert.

Jürgen Gabel

› tags: Gegenwartstheater / Kulturkritik / Reporterpreis / Theater / Zombies /

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