„Hello“ Xavier Dolan!
13. November 2015 - 2015 / bildtext
Sieh mal einer an, it’s you again!
Jede_n – so behauptet man – hätte sich Sängerin Adele als Regisseur_in für das Video zu ihrem neuen Song „Hello“ aussuchen können. Aber sie hat den erst 26 Jahre jungen Kanadier Xavier Dolan gewählt. Als Regisseur, Autor, Produzent und Schauspieler ist er bereits eine Riesennummer im zeitgenössischen Arthouse-Filmgeschäft. Vier seiner fünf Kinofilme haben es zum Filmfestival nach Cannes geschafft. Sein letzter Streifen „Mommy“ erhielt dort 2014 den Jurypreis. Und das war bestimmt nicht seine letzte Auszeichnung. Aber es hat noch mehr gute Gründe, weshalb er der richtige für Adele war:
1. Dolan hat nicht zum ersten Mal ein Musikvideo gedreht.
Bereits 2013 machte sein kontroverses Musikvideo zu dem Song „College Boy“ von der französischen Band Indochine Schlagzeilen. Darin zeigt Dolan auf radikale Art und Weise, was Mobbing mit den Opfern anrichten kann, wenn alle anderen die Augen verschließen: Was damit beginnt, dass einem Schüler im Klassenzimmer Papierkügelchen an den Kopf geworfen werden, wird in dem Video so sehr auf die Spitze getrieben, dass es zu Demütigungen und schließlich einer brutalen Hinrichtung des Mobbingopfers auf dem Schulhof kommt.
2. Adele und Dolan haben einen großen gemeinsamen Nenner: die Liebe.
Das Anderssein und die Probleme, die das mit sich bringen kann, waren bisher in jedem von Dolans Werken Thema, insbesondere Homosexualität, denn Dolan ist selbst schwul. Sein zweites großes Thema ist die Liebe in all ihren Formen: die Liebe zwischen Mann und Frau, gleichgeschlechtliche Liebe, Transgender-Liebe, platonische Liebe, Mutter-Kind-Liebe, freundschaftliche Liebe undsoweiterundsofort – oft dramatisch, tragisch, unglücklich, ähnlich wie in Adeles Songtexten.
3. Adele übersetzt Melodramatik in Musik, Dolan verwandelt sie in Bilder.
Kino war lange nicht mehr so poetisch. In Filmen von Xavier Dolan regnet es schon mal Herbstblätter, bunte Klamotten oder hunderte von Marshmallows vom Himmel. Bei Adele wirbelt eine Windmaschine der Sängerin in ihrer sepiafarbenen Welt ordentlich die Haare um den Kopf. In „Mommy“ gibt es eine Szene (TC: 1:50), in der Hauptfigur Steve zu Oasis‘ „Wonderwall“ den das Bild begrenzenden schwarzen Rahmen im Seitenverhältnis 1:1 wie einen Vorhang plötzlich zum widescreen aufschiebt: Befreiungsschlag und Ausdruck von Grenzenlosigkeit in einem. Doch besonders Dolans zweiter Film „Herzensbrecher“ beweist seinen besonderen Blick für das Pathetisch-Ästhetische: Da gibt es wunderbar trashige Szenen, Super-Zeitlupe bis ins Extremste und die unnatürlichsten Farbspiele. Unrealistisch? Ja. Aber wozu gibt es Poesie denn sonst?
4. Er hat ein Händchen für den richtigen Soundtrack.
„Für mich ist Musik die Seele des Films“, sagt Dolan. Vielleicht ist deshalb seine Songauswahl so außergewöhnlich. Berührungsängste kennt er nicht: Die Spannbreite reicht von kanadischem Kitsch-Pop der Marke Celine Dion über Achtziger-Hits à la „Sunglasses At Night“ bis hin zu Berliner Electro von Moderat. Böse Zungen behaupten, Xavier Dolan würde in seinen Filmen nur schöne Bilder mit seiner Lieblingsmusik verbinden. Selbst wenn es so wäre: Es macht extrem Spaß.
5. Eifer wird belohnt.
„Das Werk ist Schweiß“, steht auf Französisch auf Dolans linkem Bein tätowiert. Das Zitat stammt von dem französischen Schriftsteller Jean Cocteau, Dolan hat es sich zum Lebensmotto gemacht. Nur selten gibt er etwas
aus der Hand: Regie, Schnitt, Produktion, Kostüme, Art Direction – und auch die Hauptrollen übernimmt er meistens selber. Wie eine harte Droge sei das Filmemachen für ihn, sagt Dolan. Nach fünf Filmen kommt er einfach nicht mehr davon runter – und das ist auch gut so.
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