Linksverkehr
9. August 2015 - firlefanz
Prolog im Stadtbus
„Die kann misch nisch einfach rauswerfn! So eine dumme Fotze.“ – „Jetz wart doch ma ab.“ -“Ey, isch hab kein Bock mehr, immer bin isch die Außenseiterin. Mann, du muss auch mal was sagen zu deiner Schwester, ey das geht so nisch. Die kann misch doch nisch einfach nisch einladen ey. Das ist so scheiße, immer bin isch nur die dumme Freundin mann. Das kannst du dir doch nicht…“ – „Jaaa.“ – „Nisch jaaaa, schau misch an wenn isch mit dir Rede und nisch aufn Boden… Wasn hier los ey. Lauter Naaazis oder was? Die sollen sisch verpissen, Alter.“
Erstens
„Ich will von der Entdeckung des anderen durch das Ich sprechen.“ schreibt Tzvetan Todorov, wenn er seine Untersuchung über die Eroberung und Kolonisation Amerikas durch Cristoban Colón aka Christoph Kolumbus beginnt. „Ich kann diese anderen oder die anderen im Bezug auf das Ich oder aber als eine konkrete gesellschaftliche Gruppe, der wir nicht angehören. Diese Gruppe kann sich wiederum innerhalb unserer Gesellschaft befinden: es können etwa die Frauen für die Männer sein, die Reichen für die Armen, die Verrückten für die ‚Normalen’“.
Aus der Eroberung und Entdeckung Amerikas lässt sich die verstörende Erkenntnis ziehen, dass es Andere gibt, die nicht wir sind, die aber auch keine andere Spezies sind. Sie sind ähnlich, aber nicht gleich, aber nicht fremd. Es ist die Kultur, die jene innere Haltung zu Tage treten lässt, die das Ich vom anderen trennt. So schreibt Colón: „Um einen Grande zu bezeichnen, gebrauchen die Indianer auch das Wort nitayuo, wobei ich aber nicht recht wußte, ob damit ein Edelmann, Statthalter oder Richter gemeint sei“. Der Schluss Todorovs lautet, dass Colón nicht einmal bezweifelt, die Indianer würden überhaupt zwischen Edelmann, Statthalter und Richter unterscheiden. Das unbewusste Andere ist zu nah, um zu fremd zu sein. Das Andere wird zur Projektionsfläche des Ich und zum abstrakten Objekt der Lust, Angst oder Bedrohung. Gleichzeitig ist das Andere die Möglichkeit der differenzlogischen Selbstvergewisserung. Das Andere ist nicht, was ich bin.
Intermezzo
§ 2 StVO: Straßenbenutzung durch Fahrzeuge
(1) Fahrzeuge müssen die Fahrbahnen benutzen, von zwei Fahrbahnen die rechte. Seitenstreifen sind nicht Bestandteil der Fahrbahn.
Zweitens
„Hab mir eine Karte angesehen, auf der war eingezeichnet, wo welche Länder wie mit ihren Autos wo fahren. In 59 von 221 Ländern is Linksverkehr. Indien beispielsweise.“ – „Echt?“ – „Ja, echt. Englische Kolonie.“ – „Ich stell mir das mal voll abgefahren vor. Stell dir das mal vor. Echt anders.“ – „Ja, und bei Kanada stand drunter ‚Früher uneinheitliche Regelung, in Klammern: abhängig vom Ort’“. – „Was? Die sind ja echt bescheuert.“ – „Ja, echt bescheuert. Engländer und Franzosen, halt.“
Drittens
Ich habe eine Weile mit ihm geredet, weil er es komisch fand, das Schwule eigentlich immer links wären. Ich hab ihm dann gesagt, das wäre Schwachsinn, ich würde einen Schwulen kennen, der ist in der CSU und nein, das heißt nicht Christopher-Street-Union, sondern das wäre diese Splitterpartei aus dem Süden der Republik, die ständig eine konservative Extrawurst haben wolle. Ja, die Ausnahme von der Regel, sagt er dann, richtig überzeugt war er nicht, bei Wurst hat er aber albern gekichert. Ich wollte ihm dann noch erklären, dass er ja auch nicht die anderen Nazis von der AfD wählen würde, weil er hetero ist. Überhaupt, der Bisexuelle wäre dann SPD oder was? Aber normalerweise, meint er dann. Rechtsverkehr wär ja irgendwie normal, aber Linksverkehr gibt’s ja komischerweise auch. Du Seitenstreifen, dachte ich mir; Arschloch, hab ich dann gesagt und bin gegangen.
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